Wenn der Sommer ins Land zieht – Die Saison ist eröffnet

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Ralph Grüneberger: Die Saison ist eröffnet
Lyrik-Empfehlung des Monats · September 2016

Ein neues Buch von Ralph Grüneberger ist da. Der Titel macht neugierig. Welche Saison ist hier gemeint? Freibad? Fußball? Theater? Festivals? Einfach Gedichte? Oder die Saison der Erinnerungen, des Zurückschauens, des Bilanzziehens?

So gibt es gleich mehrere Gedichte im Band, die explizit auf Saisonarbeit hinweisen: Saison in der Maiskornkammer, Fruchtfolge oder Im Spätsommer (also Erntesaison), Saisonarbeit, Kurbetrieb oder Görlitz-Tourist (Kur- oder Hotelsaison). Das Buch enthält Gedichte zu Orten, die dem Dichter offenkundig wichtig sind und ihm nachhaltig in Erinnerung blieben: Oberlausitz, Trebnitz, Heilstätte Gottleuba, Petzow, Süpplingen, Unter Wellen Born, Groitzsch, Nordhausen u. v. m. Ralph Grüneberger läutet in diesem Gedichtband zu einer persönlichen Ernte ein, vermisst Stationen und Erinnerungen seines Lebens, in dem Kunst und Kultur eine zentrale Rolle einnehmen, weshalb ein nicht geringer Teil der Texte sich mit Beziehungen zu anderen Dichtern oder Lesungsorten beschäftigt (s. Lesung im Haus des Buches oder Leipzig, Freiluftlesung Les Murrays). Von literarischen Größen erfährt man durchaus pikante Schwachstellen, so finden gleichfalls das „Zettelzuhause“ einer Friederike Mayröcker wie die Esslust eines Adalbert Stifter Erwähnung.

Politische, historische Bezüge ziehen sich – wen wundert es – quer durch den Band, seien es die Bombenangriffe auf Nordhausen im Jahre 1945, Erinnerungen an das Jüdische Viertel in Prag oder die Ambivalenzen um die Online-Versteigerung der Original-Führer-Ausgabe Hitler, Mein Kampf. Und das ist gut so. Grüneberger erinnert immer wieder an die Zeit vor 70 Jahren, erinnert an aktuelle Auschwitz-Prozesse, Kriegerdenkmäler, Panzerfäuste, Berlin, Bunker und Bücherverschmähung, bewegt sich zwischen Gedenkkultur und Smartphone-Welt, stellt die zeitlichen Epochen in Relation zueinander. Zwischen Orten der Erinnerung, Bezügen zum ländlichen Raum und persönlichen Beziehungen zu Dichtern und Schriftstellern oszillieren retrospektive Gedichte und machen deutlich, dass der Wandel der Zeit, die Auswüchse des Jetzt (Flüchtlingswellen, Terror, Reality TV) immer ein Ergebnis des Vorausgegangenen sind und Geschichte für das Verständnis der Gegenwart unabdingbar ist. Ralph Grüneberger ist ein wichtiger dokumentarischer Zeitzeuge eines Teils des Nachkriegs-Deutschlands, der flächendeckend einen inneren Widerstand gegen hanebüchen anmutende Zeiterscheinungen lebt. Die Forderung „Paßt Lyrik dem Goldpreis an!“ verdeutlicht anschaulich den von Norbert Schaffeld beschriebenen „authentischen“ und „kreativen Umgang mit Widersprüchen“, wenn der Dichter sich den zwischen Ökonomie und orthografischer Reform-Manie galoppierenden Siebenmeilenstiefeln nicht beugt.

Flankiert werden die Gedichte von expressiven Pinselzeichnungen von Prof. Karl Oppermann. Ebenfalls erhältlich sind Vorzugsausgaben mit Originalgrafiken von Karl Oppermann („Kleiner Chor“ und „Kleine Musette“). Prof. Dr. Norbert Schaffeld rundet mit seinen Ausführungen zur Poetik des Widerspruchs diesen aktuellen Gedichtband Grünebergers ab, der nicht nur historisch Interessierten eine Fülle von Entdeckungen bietet.

Ralph Grüneberger, Die Saison ist eröffnet: Neue Gedichte mit Zeichnungen von Karl Oppermann und einem Nachwort von Norbert Schaffeld
Verlag Harry Ziethen, Juli 2016
ISBN 978-3862891290
96 Seiten, EUR 14,99

© Franziska Röchter

 

Gedichte müssen einfach teurer werden

Immer weniger Verse
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Leer kommt die Seite
Aus dem Tintenstrahldrucker.

Die Mehlpreise steigen.
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Die Versicherungsprämien ziehen an.

Per Post kommen Erhöhungsbescheide
Über Grundsteuer, Müllabfuhr
Straßenreinigungsgebühren. Die Rettung:
Paßt Lyrik dem Goldpreis an!


6. September 2016, 19 Uhr
Leipziger Stadtbibliothek, Wilhelm-Leuschner-Platz 10/11

Buchpremiere
Lesung: Ralph Grüneberger, „Die Saison ist eröffnet. Neue Gedichte“
Einführung: Peter Gosse
Musik: Martin Hoepfner
Eintritt frei
Buchverkauf (und der Verlag lädt bei diesen Temperaturen gern zu einem Getränk ein)