Ausgabe 1/2014
Heft 1/2014, edition kunst & dichtung: Leipzig 2014. ISSN 2193-9683, € 4,80
[pa-neu-bestellen]„Ein neues Denkmal bitte“: Gedichte über Dichter im Poesiealbum neu: Kein Marmor
Denkmäler haben sie sich wahrlich verdient, unsere deutschen Dichter und Dichterinnen, und zahlreiche davon zieren unser Land. Nun haben wir gleich 34 neue ganz anderer, nämlich rein sprachlicher Art hinzubekommen, denn in der aktuellen Ausgabe des 8. Jahrgangs von Poesiealbum neu, das den Namen „Kein Marmor“ trägt, setzen Poeten ihren dichtenden Kollegen gänzlich marmorfreie Denkmäler, ehren sie mit Gedichten. Michael Augustin nimmt sich etwa Friedrich Schillers an und lässt sein Gedicht „Schiller in Marbach“ mit „Ein neues Denkmal bitte“ beginnen, was quasi als Leitgedanke für den gesamten Band und auch diese Rezension stehen kann: Neue Denkmäler braucht das Land! Und so stößt Augustin Schiller geradewegs zärtlich von seinem hehren Poetensockel und möchte ihn, in unsere moderne Zeit versetzt, gern einmal als vierjährigen Jungen auf einem roten Plastiktraktor dargestellt wissen, in der Hand die Barbiepuppe seiner Schwester.
Ebenso erfrischend die – in Duktus und Form höchst unterschiedlichen – weiteren 33 Gedichte, die einen Bogen schlagen von Shakespeare, dem Barbara Schaffeld in „Der Barde“ poetische Unsterblichkeit bescheinigt, über – um nur einige zu nennen – Hölderlin, Rimbaud, Benn, Stein, Plath und Herbert Achternbusch, von Monika Littau in „herbert achternbusch ende der 70er“ rasant als maschendrahtschleudernder Querkopf stilisiert, bis zum Jüngsten im Bunde: Carl Christian Elze, der Rühmer und Gerühmter zugleich ist – Udo Grashoff rühmend und von Janin Wölke gerühmt: Damit zeigt sich eindrucksvoll, wie Texturen ineinander greifen und sich gegenseitig inspirieren.
Zwei Dichter werden gleich doppelt geehrt: Arthur Rimbaud und Georg Trakl. Ersterem widmen sich Hartmut Brie und Said, beide seiner expressiven Lyrik folgend. Brie präsentiert ihn uns als „ein kranker Junge in lichten Oasen“, der am trunkenen Schiff zerbricht, und Said lässt uns teilhaben an Rimbauds verzweifelter Flucht vor Verlaine: „er flüchtet vor seinen küssen vor seinem schweiß / und verfault“. An Georg Trakl erinnert Eckhard Erxleben in einem „feuertanz der Poesie“ und Bärbel Sánchez, die sich ausdrucksstark seiner zunehmenden Sprachlosigkeit annimmt in „Und es findet sich kein Wort mehr …“ – so der Titel des Gedichtes, das mit den Worten endet: „Ich bin stumm geworden, der kalte Wind treibt mir die Blätter fort“. Diese Beispiele zeigen, wie kunstvoll die Lyrik, in manchen auch die Persönlichkeit, des jeweiligen Objekts in die hier versammelten Gedichte einfließt.
Droste-Hülshoff , Schiller, Goethe und Heine wird eine ganz besondere, exponierte Ehre zuteil: Sie alle sind nämlich auf dem grandiosen Titelbild verewigt, das vier von insgesamt 24 typographischen Dichterporträts der Reihe „TYPOETEN“ von Ralf Mauer zeigt, die 2011 in der Officina Ludi erschienen sind. Auch dies neue, diesmal bildnerische Denkmäler, die einen wunderbaren Einstieg zu „Poesiealbum neu: Kein Marmor“ bilden. Zum Gelingen dieser Ausgabe trägt auch die sensible Auswahl und Komposition der Beiträge seitens des Herausgebers Ralph Grüneberger bei, die sie zu einem Gesamtkunstwerk werden lässt. Abgerundet wird dies durch ein Interview mit Wolfgang Rischer: Dem Schriftsteller, dessen Schwerpunkte in der Lyrik, Essayistik und Mitherausgeberschaft von Anthologien liegt, wurden sieben Fragen zur Lyrik gestellt, auf die der Befragte kluge Antworten gibt und auch seinerseits auf einen Dichterkollegen Bezug nimmt. Denn auf die Frage „Was kann nur Lyrik?“ zitiert er Günter Kunert: „Das Gedicht bloß gewahrt / was hinter den Horizonten verschwindet“. Schöner kann man das nicht ausrücken, und „Poesiealbum neu: Kein Marmor“ hilft uns dabei, hinter die Horizonte zu schauen und ist Anregung und Aufforderung zugleich, die Bedichteten und Dichtenden (wieder) zu entdecken. Erfrischend ist, dass dabei nicht alter Staub aufgewirbelt wird, sondern ganz neue Impulse und Aspekte zutage treten. Ein neues Denkmal hat das Land. Danke.
Sabine Witt, Hamburger Autorenvereinigung
Rezensionen
Leipziger Internetzeitung, 16.02.14