Regen

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Gedicht des Monats · Februar 2015

Jan Skácel

Regen

Mit hauchdünner peitsche hieb der frühlingsregen,
er fiel auf die stadt wie der schiefe turm
im niegesehenen Pisa.

In den fluren alter häuser,
wo’s nach blut riecht,
wo sie vor dem morgengrauen eine taube töteten,
versteckten sich pärchen.
Sie sind jung, voller anmut, über die feuchten zäune der wimpern
pflücken sie einander in den augen äpfel
und glauben nicht,

glauben nicht den stiefmütterchen und stadtgärtnern,
nicht dem vielen gerede, dem fast nutzlosen,
nicht den wortwüsten, nicht der klinke an der tür,
nicht stadt noch welt,
sie glauben nicht,
alles ist erfunden und erlogen.

Nur der regen ist kalt und naß
und fällt von oben wie ein schöner turm.


Übertragen aus dem Tschechischen von Reiner Kunze

© MERLIN Verlag

Quelle: „Gedichte von Welt. Leipzigs Partnerstädte“ Poesiealbum neu Sonderausgabe