Beschreibung
Poesiealbum neu „Revolution“
Vorwort
„Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!“ So beginnt Brechts großes Gedicht „An die Nachgeborenen“. Wir leben heute vielleicht nicht in finsteren, aber doch in höchst dramatischen Zeiten zwischen vielen Ängsten und wenigen Hoffnungen. Seit der imperialistischen Aggression Putin-Russlands gegen die Ukraine ist von einer Zeitenwende die Rede. Aber es geht gegenwärtig doch um viel mehr als um eine neue Verteidigungspolitik. Wir sind getroffen von verschiedenen umwälzenden und zugleich krisenhaften Entwicklungen, von einer Polykrise, bei der die Gefahr groß ist, dass der Versuch, die eine Krise zu überwinden, die andere verschärft.
Es beschleunigt sich die Globalisierung mit ihren ökono-mischen, technischen und wissenschaftlichen Entgrenzungen. Es verstärken sich die Flucht- und Migrations-
bewegungen. Unsere Gesellschaft wird ethnisch, kulturell, religiös-weltanschaulich pluraler – eine Entwicklung voller Konfliktpotenzial. Wir wissen noch nicht genau, wie sehr die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz unser Leben und unsere Arbeit verändern wird. Die fundamentale ökologische Bedrohung verlangt eine radikale Änderung unserer Produktions- und Lebensweise und die Abkehr vom Wachstumszwang. Die Gefahr ist groß, dass eine neue politisch-militärische Polarisierung in der Welt die globalen Anstrengungen zunichte macht, die diese miteinander zusammenhängenden Krisen erfordern.
Es wird sehr viel zu bestehen sein, individuell und kollektiv. Und die Fülle der Probleme und Veränderungen verstärkt schon jetzt das Bedürfnis nach Vergewisserungen und Verankerungen, nach Identität, Sicherheit, Beheimatung. Die Gefühle der Unsicherheit, der Gefährdung des Vertrauten, der Infragestellung dessen, was Halt und Zusammenhalt gibt, die Abstiegsängste sind aber höchst ungleich verteilt: zwischen Arm und Reich, zwischen Modernisierungsgewinnern und -verlierern, zwischen Ost und West.
Die Reaktionen auf die Erschütterungen, Infragestellungen und Herausforderungen unseres gewohnten Lebens sind unterschiedlich: Nichtwahrhabenwollen, Verlustwut, trotziges Weiter so oder apokalyptische Ungeduld. Und immer wieder die Erwartung, dass „die Politik“ schnelle und schmerzlose Lösungen bietet. Und da demokratische Politik das nicht so kann, wie gewünscht, nehmen Politikerverachtung und Demokratieverdruss zu, schlägt die Stunde der Populisten, besonders in Ostdeutschland, wo die gegenwärtige Veränderungsdramatik auf Menschen, die die dramatischen Veränderungen seit 1989/90 mit Schmerzen, Opfern, Verlusten noch nicht gänzlich und vor allem nicht alle gleichermaßen erfolgreich bestanden haben. Aber gewiss nicht nur hier. Weltweit ist in dieser Umbruchzeit die offene und rechtsstaatliche Demokratie nicht mehr gesichert. Sie ist die Ausnahme, nicht die Regel. Sie ist kostbar, weil vielfach bedroht – von außen und auch von innen.
Denn Ungerechtigkeit, Armut und Not gefährden die Demokratie. Wer bei der ökologischen Reformpolitik die Gerechtigkeitsfrage missachtet, wird scheitern. Umgekehrt gilt allerdings auch: Wer heute Gerechtigkeitspolitik betreiben will, muss eine ökologische Reformpolitik betreiben. Die Umwelt zu zerstören belastet die Ärmeren und Schwächeren mehr als die Vermögenden, die sich von den Folgen ihres Lebensstils freikaufen können.
Deshalb ist es so wichtig, dass die beiden politischen Zentralaufgaben im Zusammenhang gesehen und gelöst werden. Es braucht den technologischen, ökonomischen und vor allem ökologischen Fortschritt und es müssen Verluste und Gewinne, Schmerzen und Vorteile fair und gerecht verteilt werden.
In diesem Sinne ist ökologische Teilhabe eine moderne Dimension von Verteilungsgerechtigkeit. Sie meint die angemessene Beteiligung aller an den Anstrengungen wie an den Früchten einer nationalen wie globalen Überlebenspolitik. Diese Überlebenspolitik wird es nicht ohne Zumutungen und Schmerzen geben. Sie sind aber zu tragen und zu ertragen, wenn sie gerecht verteilt werden und mit Zukunftsaussichten verbunden sind. Überzeugende demokratische Modernisierungs- und Reformpolitik muss immer wieder neu ein Angebot, eine Einladung ans Ganze der Gesellschaft formulieren. Sie darf keine Klientel-
politik sein oder als solche erscheinen.
Das ist der Kraftakt, den die demokratischen Gesellschaften zu bewältigen haben: Tiefgreifende Veränderungen so zu verwirklichen, dass es gelingt, bei knapperen Gütern und weniger materiellem Wohlstand für politischen Zusammenhalt und soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Das ist die Bewährungsprobe für unseren demokratischen Gemeinsinn. Apokalyptische Dramatisierungen helfen dabei wenig, so verständlich sie sein mögen. Es braucht überzeugende Lösungsvorschläge, die Diskussion von konstruktiven Alternativen. Es bedarf der Kreativität, des Mutes – und geradezu revolutionärer Geduld verbunden mit der Zuversicht, dass die Zukunft zu gewinnen ist.
Wolfgang Thierse
Wolfgang Thierse, geb. 1943. Kulturwissenschaftler und
Germanist. 1990-2013 Mitglied des Bundestages, dessen
Präsident und Vizepräsident; viele Jahre Stellv. Vorsitzender
der SPD.
Wolfgang Thierse – Vorwort
Autorinnengruppe alphabettínen – Zum Kennenlernen
Autorinnen und Autoren der Gedichte und Bilder
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Jochen Berendes
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