Beschreibung
Poesiealbum neu „Architektur“ [2024/2]
Vorwort
Die Entwicklung des Bauhauses
Bauhaus – der Begriff steht als Symbol für eine radikale Erneuerung des künstlerischen Schaffens und Denkens nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründet, zielte das Bauhaus darauf ab, Kunst, Handwerk und Architektur zu vereinen und dabei traditionelle Vorstellungen über Design und Ästhetik zu hinterfragen. Die neue Bewegung widmete sich dem Ziel, nützliche und ästhetisch anspruchsvolle Dinge und Werke zu schaffen, Entwurfsansätze neu zu denken und mit Aspekten sozialer Verantwortung zu verbinden.
In den Anfangsjahren in Weimar setzte Gropius auf eine interdisziplinäre Lehre, bei der Künstler wie Paul Klee, Wassily Kandinsky und Lyonel Feininger eine tragende Rolle spielten. Diese Phase stand im Zeichen der Suche nach neuen Formen, die Traditionen überwanden und klare, ornamentlose Gestaltung mit sozialem Nutzen verbanden.
Ab Mitte der 1920er Jahre hielt neues und altes völkisch-nationales Empfinden im Thüringer Landtag verstärkt Einzug, das neue und freie Denken und Arbeiten am Bauhaus passte den neu erstarkten konservativen Kräften nicht und es wurden die staatlichen Mittel für die progressive Schule drastisch gekürzt. Unter diesen Voraussetzungen erklärten die Bauhaus-Meister vor genau hundert Jahren, am 26.12.1924 die Auflösung des Bauhauses in Weimar zum 1. April 1925.
Um das weitere Fortbestehen der Schule zu gewährleisten, übersiedelte das Bauhaus 1925 nach Dessau.
Der neue Standort ermöglichte es dem Bauhaus, seine Vision von modernem Design in großem Maßstab umzusetzen, unter anderem bei städtischen Bauten wie dem Arbeitsamt oder der Siedlung Dessau-Törten. Diese Phase war geprägt von der zunehmenden internationalen Anerkennung, was sich in der Gründung des „Kreises der Freunde des Bauhauses“ zeigte, in dem führende Persönlichkeiten der Zeit wie Oskar Kokoschka, Franz Werfel,
Albert Einstein und Arnold Schönberg Mitglied waren.
1928 übernahm der politisch weit links stehende Schweizer Architekt Hannes Meyer die Leitung des Bauhauses von Gropius. Er richtete das Bauhaus stärker auf soziale Themen aus und betonte die Verpflichtung der Architektur gegenüber der Allgemeinheit. Meyer führte eine wissenschaftlich-systematische Herangehensweise an den Entwurfsprozess ein, wobei soziale Verantwortung und Nutzen über rein ästhetische Ansprüche gestellt wurden. Diese politische und gesellschaftliche Positionierung brachte dem Bauhaus auch in Dessau viele Feinde unter den immer stärker werdenden rechtskonservativen Kräften.
1930 wurde Meyer durch den Oberbürgermeister von Dessau abgesetzt. Der renommierte Architekt Ludwig Mies van der Rohe übernahm die Leitung. Unter Mies van der Rohe wandte sich das Bauhaus wieder stärker den künstlerischen Aspekten der Architektur zu und entfernte sich von Meyers sozialen und gesellschaftspolitischen Ambitionen. Doch auch Mies van der Rohe konnte den zunehmenden Druck der Nationalsozialisten nicht aufhalten. 1932 wurde auf Antrag der NSDAP die Auflösung des Bauhauses in Dessau beschlossen. Die Institution musste erneut umziehen – diesmal nach Berlin. Mies van der Rohe versuchte, das Bauhaus aus der politischen Auseinandersetzung herauszuhalten, doch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde es 1933 endgültig geschlossen.
Trotz der Schließung verbreiteten sich die Ideen und Konzepte des Bauhauses weltweit. Viele der ehemaligen Bauhaus-Mitglieder emigrierten und wirkten in Ländern wie den USA, Israel, Mexiko, Japan oder der Sowjetunion weiter. In Städten wie New York und Tel Aviv hinterließen sie ihre Spuren, und der Bauhaus-Stil beeinflusst die moderne Architektur und das Design bis heute. Gleichzeitig bleibt das Bauhaus ein Symbol für die Widersprüchlichkeit der modernen Architektur: Während es einerseits als Inspiration für funktionale, erschwingliche Massenwohnbauten diente, wurden andererseits luxuriöse Einfamilienhäuser in gut situierten Vororten der Metropolen im Bauhaus-Stil errichtet, die wenig zur Lösung sozialer Wohnprobleme beitrugen.
Auch die Rolle einzelner Bauhaus-Absolventen während des Nationalsozialismus zeigt die Ambivalenzen der Bewegung. So war Fritz Ertl, ein Schüler von Paul Klee, maßgeblich an der Planung des Vernichtungslagers Auschwitz beteiligt. Franz Ehrlich, ein weiterer Absolvent, entwarf die Lagertor-Inschrift des KZ Buchenwald in einer an das Bauhaus angelehnten Typografie.
Dennoch bleibt das Bauhaus ein unverzichtbarer Meilenstein in der Geschichte von Kunst und Architektur. Es hat moderne Design- und Gestaltungsansätze revolutioniert und inspiriert bis heute Architekten, Künstler und Designer weltweit. Die Auseinandersetzung mit den Bauhaus-Ideen ist nicht nur ein Rückblick auf eine künstlerische Bewegung, sondern auch eine Reflexion über die Rolle von Kunst und Architektur in politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen. Es fordert dazu auf, immer wieder neu zu überlegen, wie künstlerische Freiheit und soziale Verantwortung in Einklang gebracht werden können.
Das Bauhaus lebt weiter – in den Ideen, die es vor über hundert Jahren entwickelte, und in den Fragen, die es auch heute noch stellt. Es bleibt eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration und eine Erinnerung daran, wie eng Kunst und Gesellschaft miteinander verwoben sind.
Rainer Vothel im September 2024
Rainer Vothel, geboren 1959 in Dresden, Architekt und Jazz-pianist, derzeit tätig als Dozent an der Jazz-Abteilung der Hochschule für Musik und Theater Leipzig, als Pianist, Komponist und als freier Architekt.
Rezension:
Architektur: Gedichte, die tatsächlich vom Unbehaustsein in der Moderne berichten
Autorinnen und Autoren der Gedichte und Bilder
Danilo Art-Merbitz, Dr. phil. Katrin Bibiella, Marlies Blauth, Helmut Blepp, Michael Georg Bregel, Dr. Holger Brülls, Jürgen de Bassmann, Ulrike Diez, Kirsten Döbler, Michael Eschmann, Dr. Patricia Falkenburg, Ralph Grüneberger, Jan-Eike Hornauer, Elke Hübener-Lipkau, Gerald Jatzek, Carmen Jaud, Dr. Stefan Kabisch, Christoph Kleinhubbert, Dr. Andreas Knapp, Matthias Kröner, Tamara Labas, Ferenc Liebig, Anne Mai, Hanna Malzahn, Steffen Marciniak, Eline Menke, Klaus Nührig, Christian Nikolaus Opitz, Dr. Birgit Petri, Thomas Rackwitz, Alain Rivière, Andreas-Wolfgang Rohr, Patrick Schild, Dr. Ulrich Schröder, Ulla Schuh, Gero Ulbricht, Thomas Josef Wehlim, Gabriel Wolkenfeld
50 Seiten, teils illustriert
ISSN 2193-9683 Preis EUR 7,80