Lyrik-Empfehlung des Monats · Januar 2017
- Pappalappa Mirzapan: Gedichte für besondere Kinder von 4-99
- Alex Dreppec, Tanze mit Raketenschuhen – Dance with Rocket Shoes: Wissenschaftsgedichte – Science Slam Poetry
Pappalappa Mirzapan: Gedichte für besondere Kinder von 4-99
Es ist von einem Büchlein zu berichten, das fröhliche Kurzweil ins Kinderzimmer bringen kann, nicht etwa nur, wenn das Kind mal wieder gar nicht weiß, „was ich tun soll“.
Seit ich es gesehen habe, verfolgt mich ein neuer Ohrwurm, erst recht nachdem ich das zum Titel gehörige Gedicht vom Valentin gelesen habe, dem Valentin mit Mirzapin und Marzipin und „Marzipan liebt Valentin“, eins der wohl gelungensten Gedichte in der neuen charmanten Sammlung aus dem Chiliverlag, herausgegeben von Franziska Röchter. „Gedichte für besondere Kinder“ verspricht das Bändchen, und da möchte man sich doch gleich einreihen, soviel Spaß macht schon das einfache Lesen – wie viel muss dann aber erst das gemeinsame Lesen mit den Kindern machen. Besondere Eltern: sofort ausprobieren!
Natürlich habe ich Lieblingsstücke, wie das hintersinnige „Rätselhaft“ von Eusebius van den Boom:
Dreizehn dicke Dackel
tanzten um eine Fackel.
Warum jedoch, ist schwer zu sagen,
da müsste man die Dackel fragen.
Die Dackel fragen – genau! Da schließt sich noch manch ein Warum an, und da könnte man doch auch drauf kommen, selbst mal öfter zu fragen? Als Vater, Mutter, Kind.
Und sonst? – gibt es mehr solch wunderbare winzige Geschichten von Dromedar und Hasen, von „Feuerziegenzicken“ und Spuk, von „Pillepalle, Krötenfalle“, eben vielem, „was Kinderherzen erfreut“.
Auch tanzen da Buchstaben bei bekannten Wörtern aus der Reihe, in andere Wörter rein, in andere Reihen, tanzen Reigen, machen Wortsalate, scherzen, spaßen, stolpern im bunten Wortverdreh. Genau: da muss eben überhaupt nichts nur so richtig sein, wie es in der Schule richtig sein muss. Da geht es spielerisch zu, lustig, da wird das Gewohnte ein bisschen oder auch mal sehr schief daneben verrückt. Da ist richtig schräges Denken drin, das ist witzig und kann auch aberwitzig werden. Du verstehst nicht sofort alles, aber da fühlst du dich vielleicht plötzlich selbst ganz frei, und dir wird auch mal ein bisschen schwindelig und nach Lachen zumute. Am Ende geht es überhaupt nicht ohne spaßiges Weitersinnen und Weiterspinnen.
Mittendrin wird dir auch mal ganz liebevoll melancholisch zumute werden, denn „Es gibt so einen Regenwurm, der hätte gerne Beine“ und einen „armen Zauberer“ – wie das? Und dann wieder ist es ganz poetisch wie bei „Löwenzahn und Pusteblume“. Herrlich abgedreht ist der „Schwimmkurs in der Kokosnuss“ und anderer wundersamer Sinn wie im „Turngedicht“ mit dem Nacktmull und dem Grottenolm und woanders überall.
Und dann gibt es ganz Aufregendes für die allzu braven Kinder, wenn so Unerhörtes gesagt wird wie „Menschen sind ja an und für sich/schon recht blöde“ – und das wird, das darf das Menschenkind auch denken, mindestens bis es in der sechsten Zeile hören muss, dass das eine Ziege denkt, die auch noch ganz anderes auf Lager hat. Die das Menschenkind das Aufbegehren lehrt: ihm zeigt, wie sie aus der Reihe der verachteten Schafe ausbricht und in der Ziegenherde ihren richtigen Platz sucht. Und Menschenkind kann sich bald selber denken, was es mit den Menschen auf sich hat.
Und aufs Glatteis wirst du auch noch geführt, denn kannst du ernstlich glauben, dass es in der richtigen Welt diese so verrückte „Vielfalt der Pilze“ geben soll? Willst dich gleich auf die Suche begeben, Internet kucken, findest aber nun nicht alles, denkst ganz von alleine dran: vielleicht Sprachspiele? – machst weiter, gern, mehr verrückte Pilze erfinden, warum nicht?
Da grüßen natürlich Anklänge an bekannte Kinderreime aus der eigenen Kindheit, an große Unsinnspoeten. Da hast du Spaß an der verblüffenden Graphik mit grazil gezeichneten Schattenbildern, romantisch und skurril, und ihren allfälligen Spiegelungen, die zum Suchen und Vergleichen und schon mal zum Gruseln und Schmunzeln einladen. Richtig was auch für besondere Eltern, die nicht vergessen haben oder sich erinnern wollen, wie das war, ein besonderes Kind zu sein (denn wer wäre das nicht – gewesen –?)
© Urte Skaliks-Wagner, 13.12.2016
Pappalappa Mirzapan
Gedichte für besondere Kinder von 4-99
von Franziska Röchter (Herausgeber), Bernhard Winter (Nachwort),
Mit Autoren wie Alex Dreppec , Jürgen Völkert-Marten, Elisabeth Drab u. v. m.
80 Seiten, chiliverlag, November 2016
Deutsch, ISBN 978-3943292497
Tanze mit Raketenschuhen – Dance with Rocket Shoes
Alex Dreppec ist ein Besessener. Besessen vom Glauben an die Kraft humoristischer Poesie. Wer erinnert sich nicht an ‚Die Doppelmoral des devoten Despoten‘ (erschienen 2003 in der legendären Eremiten-Presse)? Oder den 2015 im chiliverlag erschienenen ‚Glasaugenstern‘? Seine witzigen Gedichte finden sich ebenso im anerkannten ‚Conrady‘ wie in ‚Hell und Schnell‘ (555 komische Gedichte aus 5 Jahrhunderten), herausgegeben von Robert Gernhardt. 2004 erhielt er den renommierten Wilhelm-Busch-Preis für humoristische Versdichtung. Aber auch auf den Poetry-Slam-Bühnen war Alex Dreppec immer ein gefragter Name.
Ein anderes Anliegen des promovierten Psychologen war bisher viel weniger bekannt: Die Verständlichkeitsforschung. Bereits 2001 erschien sein Standardwerk ‚Verstehen und Verständlichkeit‘; einige Jahre später entwickelte er für die Wissenschaftsstadt Darmstadt das Format ‚Science Slam‘. Die weltweit erste Veranstaltung dieser Art organisierte er 2006 in der Darmstädter Stoeferle-Halle. Wissenschaftliche Forschung soll dabei in begrenzter Zeit allgemeinverständlich dargeboten werden. Mittlerweile hat der Science Slam einen weltweiten Siegeszug angetreten – und nur wenige wissen, dass er in Darmstadt von Alex Dreppec erfunden wurde.
Nach diesem Erfolg war es nur konsequent, wenn Dreppec versuchte, verständliche Wissenschaft und komische Versdichtung zu vereinen. Gleichzeitig übersetzte er seine Werke in die englische Wissenschaftssprache. Schon bald erschienen sie in den amerikanischen Zeitschriften ‚Cincinnati Review‘ oder ‚Notre Dame Review‘. Auch das britische Magazin ‚Orbis‘ druckte nun Alex Dreppec.
Beispiel 1: Akzentuierung (für Psychologen)
Frau Sieda war ängstlich, denn sie
litt sehr unter Spinnen-Phobie
Eine Gegenkonditionierung
verhalf zur Akzentuierung
Nun süßt sie die Spinnen mit Süßli
und schneidet sie sich dann ins Müsli
Im Laufe der Jahre kamen so viele witzige Wissenschaftsgedichte zusammen, dass der chiliverlag sie in dem zweisprachigen Werk ‚Tanze mit Raketenschuhen‘ veröffentlichte. Geordnet nach Sozial-, Geistes- und Naturwissenschaften findet der Leser herrliche Ergüsse fröhlicher Forschungsarbeit. Dem Verfasser kam es offensichtlich nicht nur darauf an, fundiertes Wissen in knapper poetischer Form zu vermitteln – immer wieder lässt der Leser das Buch sinken, um über eine Pointe zu lachen. Gerade der Humor der Wissenschaftler hat den Science Slam ja so populär werden lassen.
Beispiel 2: Herzschrittmacher (für Elektrotechniker)
Sieh: Schienenbahnen für Trillionen zahme Elektronen,
die wir zu krönen planen auf Platinen-Großmissionen,
zack, zack, steck die Dose auf den Schockerstecker,
weck den letzten Schläfer mit Elektroschockerwecker,
bis bei Elektro-Techno frei die Funken sprühen,
vom Technik-Techtelmechtel alle Lampen glühen,
bis die Ovationen dröhnen, denn am Ende dienen
unsren Spleens die schönsten aller kühnen Maschinen.
Sieh: Steh’n im Tal und auf den Bergen hoch die Haare
im Wind durch wahre Wunderwerke, Windkraft-Exemplare,
dann wird das alle faszinieren und elektrisieren
und in breiten Strömen sämig Strom für uns kreieren.
Wir bau’n mit Speed Metal im Kopf den Herzschrittmacher
und zum Elektro-Widerstand den Widersacher.
Der Morsecode der fein geplanten Hochspannungskaskaden
lässt froher Nutzer Waden in Warmwasserschwaden baden.
Diese Gedichte sind jedoch nicht nur leicht lesbar; sie eignen sich exzellent dazu, im fröhlichen Zusammensein vorgetragen zu werden. Das gilt ebenso für die englischen Übertragungen. Ohne weiteres könnte man sich vorstellen, dass der Science Slam durch solche Verse einen völlig neuen ‚Drall‘ erhält – oder einen entsprechenden ‚Spin‘, wie die Teilchenpyhisker zu sagen pflegen. Die Sammlung erscheint im chiliverlag, pünktlich zu den siebten Deutschen Meisterschaften im Science Slam, bei denen gleichzeitig gefeiert wird, dass diese Form des wissenschaftlichen Kurzvortrages vor zehn Jahren von Alex Dreppec erfunden wurde.
© Marc Mandel
Alex Dreppec, Tanze mit Raketenschuhen – Dance with Rocket Shoes: Wissenschaftsgedichte – Science Slam Poetry
180 Seiten chiliverlag, November 2016
Deutsch – Englisch
ISBN 978-3943292503