Lutz Rathenow: Maskierungszärtlichkeit. Dresdner Gedichte

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Juni 2022 – Empfehlung des Monats von Ralph Grüneberger

Lutz Rathenows Dresdner Fundus

Das waren für den gebürtigen Thüringer und Wahlberliner Lutz Rathenow keine Dresdner Jahre wider Willen. Als freiberuflicher Autor von Lyrik, Prosa und Versen für Kinder hinter einem Amtsschreibtisch Platz zu nehmen, war wahrscheinlich die größere Hürde, ist doch Amtssprache für einen Poeten schlimmer als Mundart. Und das auf Jahre hin. Und dann die ganzen Reglementierungen, Richtlinienkompetenzen und Dienstbesprechungen. Aber er hat es bewältigt, und sein offenes und empathisches Wesen waren ein Segen für viele Bereiche in Sachsen. Zu Gute kam das den in Sachsens Freistaat Geborenen und Neuansässigen. Und neben der Stärkung der Opferverbände und deren Initiativen und Einrichtungen galt Rathenows zehn Jahresschritt insbesondere der in der DDR verhinderten bzw. behinderten Literatur. Dieser hat sich der sächsische Landesbeauftragte („LaBe“) für die Aufarbeitung der SED-Diktatur verpflichtet gefühlt.

Als Reminiszenz an sein Amt reimte Rathenow das:

Der BuBe und der LaBe – sie trinken

fleißig Tee. Einen ganzen See.

Sagt der BuBe zu dem LaBe:

Ich versteh nicht, was ich seh.

Sagt der LaBe zu dem BuBe:

Ich weiß nicht, wohin ich geh.

Beide nippen weiter Tee

und summen: Akten Fakten,

Fakten Akten, alles Schnee.

Es taucht auf und flieht: ein Reh.

Das klingt wie eine Sitzungszeichnung. An anderer Stelle lesen wir vom politischen „Aussitzen“ und dem damit einhergehenden „Ausschwitzen“, ja, „Sommer riecht nicht gut“. Und das klimatisierte Büro wird bei Hitzegraden zum Fluchtpunkt.

Zwei Beispiele für Rathenows Beschäftigung mit seiner Amtszeit. Meist aber bilden die „Dresdner Gedichte“ das ab, was der Berliner nach Dresden mitbringt – gefärbt von der Stimmung über dem Strausberger Platz. Erinnert wird auch der letzte Blick des Vaters „Im Zug, hinter dem Fenster, das sich nicht / öffnen lässt.“ Vater und Sohn („Der Abschied“): „Wir hörten uns nicht und verstanden uns doch.“ Eines der berührenden Gedichte aus der Sammlung.

Auch das Ungelenke, das ihm bereits als Jugendlichen eher randständig sein ließ, gibt Rathenow zu: „Ich kann nicht wirklich tanzen, überhaupt nicht. / Ich habe bisher nie einen Bossa Nova zu Ende gehört.“ Und doch will er wenigstens die Finger tanzen lassen – auf der Haut der Liebsten; „ein Tippen und Wippen, Gleiten / Und Geleiten“.

Na und schließlich das Titelgedicht, das passend im Quer-Format ins Dresdner Arbeitsjournal kommt. Das lyrische Ich setzt nach der Straßenbahnfahrt zum ersten Mal die Maske nicht ab und entdeckt, dass sie schützt im Herbst 2020, auch gegen die Herbstkälte, die die Elbe verstärkt. Später kommt eine Familie ins Gedicht und bleibt dort. Etwas, was sich wohl jeder (m/w) Autor von seinen Lesern wünscht: „in diesen [seinen] Zeilen hängen sie fest“.

Lutz Rathenow

Maskierungszärtlichkeit

Dresdner Gedichte

edition petit

Verlag SchumacherGebler, Dresden 2021

ISBN 978-3-941209-72-5

48 Seiten

18 €