Johnny Cash – Forever Words

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Empfehlung des Monats · November 2020
von Peter Schröder

Nicht ohne Grund werden verdiente oder für gut befundene Liedermacher und Singer-Songwriter in die Nähe zur Poesie und Lyrik gerückt. Das Wort „lyricist“ (Englisch für Liedtextschreiber oder -dichter) deutet darauf hin. Der irische Sänger und Liedermacher Shane MacGowan zum Beispiel, dessen kreatives Wirken seit Jahrzehnten brach liegt, schuf in den Jahren zwischen etwa 1980 bis Ende der 90er einen beeindruckenden Katalog von zeitlosen Liedern, für die er bis heute in der Welt gefeiert wird. Sein Freund Johnny Depp nannte ihn mal „einen der wichtigsten Poeten des 20. Jahrhunderts“. Einen ähnlichen Status  „genießt“ – wenn auch posthum – in den USA der Liedermacher und Musiker Townes Van Zandt, der schon zu Lebzeiten und auf dem Höhepunkt seines musikalischen Schaffens in den 60ern und 70ern in Kennerkreisen als Poet und Songwriting-Legende hochgehalten wurde und trotz seines eher nischenhaften Schattendaseins jedem, der etwas auf amerikanische Folk- und Countrymusik hielt, ein Begriff war.
Nun aber zum eigentlichen Thema dieser Empfehlung: dem Gedichtband „Forever Words“ von The Man in Black himself: Johnny Cash.

Dieses Buch, welches von Cashs einzigem Sohn John Carter Cash herausgegeben worden und erstmalig 2016 erschienen ist, enthält eine Sammlung bzw. eine Auswahl bis dato unveröffentlichter Gedichte, Gedichtfragmente und Liedtexte des weltberühmten Country-Musikers. Mir liegt die 2018 veröffentlichte Paperback-Edition von Canongate Books mit 132 Seiten vor. Wer sich mal ein bisschen mit dem Werdegang und der Persönlichkeit Cashs beschäftigt hat, wird wissen, dass jener ein äußerst turbulentes Leben voller Höhen und Tiefen hinter sich brachte. Zunächst der rasante Aufstieg zur Country-Ikone, was nicht zuletzt an Cashs markanter Bass-Bariton-Stimme und seinem eigenwilligen, authentischen Klangbild der frühen Jahre gelegen haben dürfte. Hinzu gesellten sich aber schnell Suchtprobleme, die Cash bald an den Rand des Wahnsinns und Mitte der 60er fast an die Grenze seines irdischen Daseins brachten und die ihn schließlich bis ans Lebensende begleiten und immer wieder plagen sollten. Geholfen hat ihm letztlich nach eigenem Bekunden neben seinem profunden Glauben der späteren Jahre vor allem seine langjährige Ehefrau und Weggefährtin June Carter. Johnny Cash war eine höchst eigenständige und ehrliche Künstlerpersönlichkeit, die sich trotz seines späteren Mainstream-Erfolgs immer seine Integrität bewahrt und sich gegen die Mühlen des (Musik)-Establishments gestellt hat. Er hatte kein Problem damit, anzuecken und äußerte sich stets auch zu unbequemen und kritischen Themen – in seiner Musik bzw. seinen Liedtexten wie auch abseits dessen. Etwas, das man heute zunehmend vermisst. Eine Lyrik, die sich entweder nur noch um sich selbst dreht oder sich dem Zeitgeist anbiedert, sollte im Hinblick auf ihren Stellenwert hinterfragt werden.

Zurück zum Buch: Die von seinem Sohn ausgesuchten Gedichte umfassen die Zeitspanne der frühen Fünfzigerjahre bis kurz vor Cashs Tod (2003), also fast sein ganzes Leben als kreativ Schaffender. Manche Texte sind undatiert. Thematisch geht es um alles, was irgendwie mit Leben zu tun hat, also mit der damit einhergehenden Achterbahnfahrt. Und natürlich um das, was den großen Mann in Schwarz bewegt hat bzw. was letztlich sein Leben ausmachte. Hier ein paar Stichwörter: Liebe, Verlust, Schmerz, Humor, Rauschmittel, Sucht, Selbstironie, die inneren Dämonen und die schiefe Bahn, das Country-Feeling als amerikanischer Patriot, Züge, Goldrausch, die fragwürdige Musik- und Filmindustrie, Schusswaffen, Tod. Teilweise fühlt man sich beim Lesen an Cash-Lieder erinnert bzw. hat schon eine eigene Melodie im Kopf und kann sich den Man in Black gut beim Vertonen und Singen der Gedichte vorstellen. Womit die Frage aufkommt, ob nicht gute Gedichte immer auch einen Hang zur Musikalität haben und womit wir wieder beim Anfang wären. Beides (Gedicht und Liedtext) scheint in vielen günstigen Fällen ineinander überzugehen. Man sollte sich nicht über die teilweise vorhandene augenscheinliche Einfachheit von Cashs Zeilen täuschen lassen. Seine Liedtexte sind häufig auch so, aber am Ende doch irgendwie profund. Sie sagen für manchen Leser letztlich weit mehr aus als manch hochartifizielles pseudointellektuelles Wortgespinst.

Cash erregte neben seinem Talent als Sänger, Musiker, Liederschreiber und Unterhalter und mit der unglaublichen Bandbreite an veröffentlichter Musik – neben einem riesigen Katalog selbstgeschriebener Lieder interpretierte er auch haufenweise  verschiedene Stilrichtungen anderer – ebenfalls  großes Aufsehen mit seinen Auftritten vor Insassen mehrerer US-amerikanischer Gefängnisse. Obwohl bekannt war, dass er diesbezüglich selbst keine einschlägige „Karriere“ hinter sich hatte (im Gegensatz zu seinem Kollegen Merle Haggard – auch sehr zu empfehlen fürMenschen, die diese Musikrichtung mögen) und sein Outlaw-Image eben ein Image war, spürt man bei den alten Aufnahmen, dass die Gefangenen in Sträflingskleidung Cash komplett verstehen. Sie feiern ihn regelrecht, weil dieses Verstehen auf Gegenseitigkeit beruht und er auch ohne fehlende verbüßte Haftstrafen authentisch war. Weil in dem, was er dort ausstrahlt, durchkommt, dass er irgendwo „einer von ihnen“ ist. Das Schöne an Johnny Cash ist auch, dass man selbst nach Jahren des Hörens immer noch wieder Neues entdecken kann. Die Menge seiner aufgenommenen Lieder (eigenes Material plus Interpretationen und Cover) ist in der Summe wirklich beeindruckend.
Interessanterweise sind auch die Gedichte aus „Forever Words“ inzwischen als Album vertont worden, mit vielen namhaften Musikern an Bord. Wer Interesse an Johnny Cash oder an Lyrik allgemein hat und über grundlegende Englischkenntnisse verfügt, dem sei dieses Buch als Schnittstelle zwischen Poesie und Musik empfohlen.

  • Johnny Cash – Forever Words: The Unknown Poems
  • ISBN-13 : 978-1786891969
  • Herausgeber : Canongate Books Ltd.; Main Edition (1. Februar 2018)
  • Sprache : Englisch