
Empfehlung des Monats November von Helmut Blepp:
Sybille Fritsch: ANDERES, Politische Lyrik
Sybille Fritsch hat ihren nunmehr fünften Gedichtband veröffentlicht: „ANDERES,“, im Geest-Verlag, der sich seit Jahren für zeitgenössische Lyrik engagiert. Die Lyrikerin und Religionswissenschaftlerin, die seit Jahren präsent ist in allen relevanten literarischen Zeitschriften und Anthologien, stellt sich lyrisch unserer bedrohlichen Gegenwart.
Mir gefällt die Ansage auf dem Cover des aktuellen Buches: „ANDERES, Politische Lyrik“. Fast eine Provokation zu Zeiten, da Lyrik doch nach wie vor so viel Innerlichkeit transportiert, Auseinandersetzung mit sich selbst, dass manch einer den Titel schon als Affront empfinden mag. Andererseits ist er aber auch ein Vorsatz, der, wenn man ihn ernst nimmt, Einmischung verspricht. Da will jemand Stellung beziehen. Da will jemand über den eigenen Tellerrand hinausschauen – und sich an diesem Anspruch messen lassen.
Im laufenden Jahr wurden uns beeindruckende Sammlungen dessen geboten, was politische Lyrik sein kann. „365 Tage Frieden“ von Rüdiger Heins und Michael Landgraf, „Gespräche über Bäume“ von Thomas Weiß sind als repräsentative Anthologien beredte Beispiele dafür, dass unsere Dichterinnen und Dichter mitten im Leben stehen – aber auch dafür, dass ihre Kunst der schrecklichen Realität von Kriegen oft kaum gerecht werden kann. Was macht Sybille Fritsch aus diesem Dilemma?
Sie stellt ihm in klaren Worten den Wunsch und den Willen nach Gemeinschaft in Freiheit und Frieden entgegen, ohne es bei gängigen Floskeln zu belassen.
„wir / Menschen sind Gesang / erdacht von einem großen Geheimnis / das Liebe heißt“,
postuliert sie – aber nicht zu unser aller Beruhigung, denn gleichzeitig deutet sie darauf, woran der ersehnte Menschenchor scheitert:
„Europa will keine Flüchtlinge – schon gar nicht mit schwarzer Haut“, denn die „schöne neue Welt / wir bauen dich aus / Gewinn und Rendite“.
Und
„was haben wir unseren Frieden genossen / und fast waren die Güter gerecht verteilt / unter uns“, als die Kriege noch weit entfernt stattfanden, die unserer Gier nach Wachstum geschuldeten Umweltzerstörungen nur andere ins Elend trieben.
Jetzt stellen wir fest, „Die Fremden / kommen uns zu / nah um noch unsichtbar / zu bleiben“. Dabei singen wir doch lieber allein!
Bereits das erste Gedicht, den Kapiteln „Flucht Heimat Recht Krieg“, Klima Mit Welt Revolution“, „Frieden Krieg Verzeihn Shalom“ vorangestellt, formuliert eine Kernfrage:
„Macht Sprache / die Welt / zum Besitz / derer die bestimmen / was Sprache sei“.
Und die Folgerung daraus lautet, sich nicht auf die Sprache der Täter einzulassen, ihnen nicht auf den Leim zu gehen. Es geht um Wahrhaftigkeit, das Ringen um Ausdruck angesichts des Elends und der Gräuel, von Menschen an Menschen verübt, für das es kaum Worte gibt – denn „Über Frieden lässt sich / schlecht schreiben – Frieden / ist nicht in Worten / zu fassen nicht mit Erklärungen / zu verwirklichen“.
Wie oft werden wir doch banal, wenn wir unserer Betroffenheit Ausdruck geben wollen? Wie oft pathetisch, wenn wir ganz konkrete Unmenschlichkeit anprangern? Ist formulierte Anteilnahme schon Literatur?
Sybille Fritsch weiß um ihre Sprache. Sie ist vertraut mit Worten und wählt die richtigen. Kein Pomp. Keine poetische Überhöhung.
Im Gedicht “Spiele“ werden unsere wohligen Gedanken mit der ernüchternden Realität konfrontiert:
„Ich spiele / mit dem Gedanken, / ein Haus zu bauen. // Du spielst / in einer Gruppe / mit durchaus sozial / zu nennendem Ziel / Gitarre. // Vor einer Holzbarracke / ohne Licht und Wasser, / 36 Menschen und 2 Räume, / sehe ich zwei lachende Kinder / mit einer toten Ratte / Ball spielen.“
Das trifft! Aber Betroffenheit ist nur ein Anfang, sagen diese Gedichte. Nicht lediglich verstehen und abhaken, sondern empathisch daraus folgern. Auch dieses Buch ändert die Welt nicht zum Besseren. Aber es trägt dazu bei.
Sybille Fritsch:
Anderes, Politische Lyrik
Broschur, 108 S., 13,00 €
ISBN 978-3690645256
Geest-Verlag, Visbek, 2025
