Empfehlung des Monats August 2024 von Steffen Marciniak:
Klaus Anders: Nachtgesang einer Zitrone
Mit dem Wind ziehen
Klaus Anders ist ein stiller und feiner Poet (und Übersetzer vor allem norwegischer Dichter). Und auch darum und an der Unverwechselbarkeit seiner hochpoetischen Bilder zu den vorzüglichsten Dichtern deutscher Gegenwartslyrik zu nennen. Sollte sich noch einmal jemand daran machen, einen Kanon deutscher Gegenwartslyrik aufstellen wollen, dann dürfte er Klaus Anders nicht übersehen.
Wenn das erste Gedicht im neuen Gedichtband „Nachtgesang einer Zitrone“ aufgeschlagen ist, liest man „Wolken“ (S. 8):
„Wolken wie brennende
Ballen Stroh rollen hin, aus der Linde im Hof
strömt ein lang vergangener Nachmittag.
Schwarzmilane lassen vom Spiel in
steigender Luft, sammeln
sich in Pappeln zur Ruhe.
Mittags hinter dem Waldland Rauch,
nachts Feuerschein über Städten.“
… und man gelangt mit dem Dichter zu einer inneren Ruhe, einer Entspanntheit, die einem vielleicht nur die Natur bieten kann, wenn man es versteht, ihr zu folgen. Klaus Anders ist hier zu Hause. Allzu gern möchte man sich zu den Schwarzmilanen gesellen, die Rast in den Pappeln mit ihnen teilen. Und es wird einem klar, dass man die Tiere nicht stören würde, dass die Tiere vor allem erst einmal Klaus Anders neben sich dulden, der die Muße ausströmt, einen solchen Tag vom Morgen bis in den nächtlichen Feuerschein aussitzen zu können.
Ein Dichter, der, wie im Gedicht „Kraniche“ (S. 13) mit dem Wind ziehen mag, und dem man beim Dichten gern zuschauen möchte, wenn man sich vorstellen könnte, und Dichterseelen können das, wie es geht, wenn man sich
„dem Wind überlässt, reist
sicher, muß Erschöpfung nicht fürchten,
doch das letzte Wort hat der Wind.“
Dichter sind Einzelwesen und haben kein leichten Stand in einer Gemeinschaft, die Wert darauf legt, alles zu begradigen, abzustecken, die zwar auch beschützt, immer Eigeninitiative erwartet, den Ausreißer aber gern wieder einfängt. Im selben Gedicht „Kraniche“ bleibt
„Einer der Gruppe… nun zurück,
versuchte zu fliegen, doch es misslang,
hielt sich nur kurz in der Luft, ging
zu Boden. Die anderen rufen, er
schaut ihnen nach, senkt den Kopf,
sucht nach Futter.“
Auf S. 14 gelingt ein herrliches Gedicht mit „Tom Bombadils Wald“, eines von mehreren großartigen Langgedichten im Buch, in denen man den poetischen Welten von Klaus Anders über viele Verse (und Seiten) folgen kann. Wer sich darauf einlässt wird hier viel Schönes finden, viel Geistreiches, Gedankenvolles, Überraschendes.
Dieses erste der Langgedichte ist mit einem Zitat von J.R.R. Tolkien eingeleitet, führt die oben angedeutete Reise auf erstaunliche Art weiter. Der Protagonist des Gedichts ist die Seele des Waldes selbst, eher einer Seele in diesem Wald:
„Von wo ich komme, weiß ich nicht. Weiß nicht,
ob ich sterblich bin. Mein Erinnern beginnt mit dem Regen. Schon erwacht
war ich, als ob der Wald keimte. …“
Das Gedicht ist ein Plädoyer dafür, dass der Wald und damit die Natur, sich schon selbst zu schützen weiß, sie des später hinzutretenden Menschen nicht bedarf. Die Arglosen, harmlos Wissbegierigen akzeptiert diese Seele und schützt auch sie, die Gierigen und Ehrgeizigen lässt sie in den Tiefen des Waldes verschwinden:
„Dies hochmütige Gezücht, das alles berührt.
Entdeckerfreude, Schaffensdrang nennen sie es,
Erstaunliches haben sie zuwege gebracht,
und hinter ihnen die breite Spur aus
Verwüstung, Mord, Knechtschaft.“
Letztere bleiben außen vor, verstehen die alte Seele nicht. Und wenn sie verschluckt sind, werden sie vergessen sein. Man beginnt zu verstehen, zu hoffen, dass es diese alte Seele Natur im Walde ist, die sich da mal in diesem, mal in jenem Teil der Welt zuhause fühlt, ja eben überall zu sein scheint, die am Ende obsiegen wird. Wenn das aber wirklich sicher wäre, würde es des Gedichts, das auch einem Hilferuf gleicht, nicht brauchen.
Wunderbare Verse auch im Gedicht „Schnecken, Zikaden“, ein gewaltiges, in Weisheit getauchtes Langgedicht, gewidmet dem jungen taiwanesischen Lyriker Yu-Sheng Tsou und dem Übersetzer Lin-Sen Tsai, in elf Abschnitten (S. 19-36):
„Schnecken machen eine Musik,
die du nicht hörst, sie klingt
ähnlich wie die von Zikaden,
nur viel langsamer, denn die
Raspelzunge ist nicht schneller als
die ganze Schnecke. …“
Jeder Vers in diesem Werk wird hier zu einer eigenen Welt. Farbiger kann man kaum dichten, man muss sich verlieben in ein unübertreffliches Gedicht.
Aber auch dem prallen Leben, der Suche nach Liebe und Zweisamkeit wendet sich Anders zu. Eindrücklich hier die „Begegnung mit Cernuda“, (S. 92), ein Gedicht für Luis Cernuda, einem wenig bekannten, doch unbedingt empfohlenen, 1963 gestorbenen, spanischen Dichter, dem in deutscher Sprache lediglich 1978 die DDR, bei Reclam Leipzig, und 2004 der Suhrkamp Verlag zwei Gedichtbände widmeten, ein Dichter, der in seinen späten Lebensjahren offen homosexuell lebte.
Das Gedicht zeigt Anders´ Einfühlung in Cernudas und in eigenes Verlangen, zugleich eine große Verbeugung vor des Spaniers lyrischem Werk und auch ein Wiederfinden in einem gemeinsamen Kosmos:
„Fremdsein war uns gemeinsam, fremd
überall und mit allen …
… vergeblicher Versuch:
einmal dazugehören, was bewirken, nützlich sein.
Ich blieb stets hier, schuf mir Nischen, die
meine Einsamkeit verbargen, Nischen, wo ich
wie unte reiner Brücke, über die eben
ein Zug fährt, schreien konnte, ohne dass
jemand es hörte. …“
Unter den vielen feinen Kurzgedichten sei zum Abschluss ein Haiku gezeigt, dass vielseitig gedeutet werden darf, aufs Leben ganz sicher, aber ich mag mir erlauben, es auch als Aufruf zur Lektüre zu verstehen (S.62):
„Bald ist es so weit,
sagt der Baum zum gelben Blatt,
es wird nicht weh tun.“
Klaus Anders´ neunter Gedichtband erschien als erstes Buch des neuen Verlags Ginster Press der Herausgebers Frank Wierke. Eine große Empfehlung, wie auch die Vorgängerbände empfohlen seien, die u.a. (mehrmals) in der Edition Rugerup erschienen. All jenen, denen die Lektüre jetzt bevorsteht, wird sich eine unglaublich schöne und zugleich bedrohte Welt entfalten, voll reinster Poesie.
Klaus Anders:
Nachtgesang einer Zitrone
Broschur, 120 S., 18,00 €
ISBN 978-3759767851
Ginster Press, 2024