Juni 2023 – Empfehlung des Monats von Ralph Grüneberger
Salli Sallmann (Hg.): Als ich wie ein Vogel war. Gerulf Pannach: Die Texte
Ein Leben in Strophen
In diesem Monat, genauer gesagt am 24. des Monats, wäre der im sächsischen Arnsdorf (nahe Dresden) geborene und in der Kleinstadt Schkeuditz bei Leipzig aufgewachsene Dichter und Musiker Gerulf Pannach 75 Jahre alt geworden.
Nach Jahren der Reglementierung und des Berufsverbots kam der Künstler als Ausgebürgerter nach neun Monaten Haft im Berlin-Hohenschönhausener Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR nach Westberlin. Gemeinsam mit Christian „Kuno“ Kunert, mit dem ihn sowohl die Stasi-Haft als auch die Jahre in der „Klaus-Renft-Combo“ verbanden, begann dort 1977 ein neuer Lebensabschnitt für ihn und seine Frau Amrei. Aber die Bedeutung, die er in den 1970er Jahren als Interpret seiner Lieder und Textdichter für „Renft“ in der DDR, dem Land der begrenzten Möglichkeiten, erlangt hat, wurde ihm nicht wieder zuteil.
Salli Sallmann, Pannachs Freund und wie er ein Liedermacher, hat bereits 1999, ein Jahr nach Pannachs Tod, eine längst vergriffene Ausgabe unter demselben Titel im Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf herausgegeben. Bescheiden schreibt er im Vorwort zu der neuen, erweiterten Zusammenstellungen, dass sie keine Biographie des Lieddichters Pannachs ersetzen könne. Das jedoch ist tiefgestapelt. Versehen mit Anmerkungen, zeitgeschichtlichen Kommentaren und Anekdoten von Pannachs Weggefährten Kuno ergibt sich, angefangen von Gerulf Pannachs Wirken in der Singebewegung der Freien Deutschen Jugend (die erstaunlicherweise nie umbenannt wurde) bis zu den Duo-Programmen Pannach/Kunert, eine Biographie in Strophen. Und das meint auch Katastrophen: wie die Verhaftung 1976 und den diagnostizierten Nierenkrebs zwanzig Jahre später.
Das Besondere an Sallmanns Sammlung ist das Aufzeigen einer Entwicklung von Pannachs Liedschaffens, das so manche Peinlichkeit und Anleihen an den sozialistischen Realismus offenbart, um dann im „Westteil“ des Buches u.a. mit Ausschnitten aus dem Musical des Duos Pannach/Kunert „Das Totenschiff“ (nach Traven) aufzuwarten oder den Liedpoeten als Schauspieler am Set des Low-Budget-Films „Vaterland“ zu zeigen. Amüsant sind im „Ostteil“ Reime wie diese FDJ – lieber Gott, Marxens Lehre – Karriere oder Kampfgeschrei – Erster Mai.
Zu den „Perlen“, die Gerulf Pannach nicht dem Vergessen anheim geben werden, gehören für mich „Sonne wie ein Clown“, „Cäsars Blues“, „Der Apfeltraum“, „Zwischen Liebe & Zorn“ und eben der Song, der diesem Buch den Titel gab:
Als ich wie ein Vogel war
Als ich wie ein Vogel war, der am Abend sang
Riefen alle Leute nur: Sonnenuntergang!
Alle Vögel sind schon da – keiner, der das rief
Ohne Stimme flog ich fort, als schon alles schlief
Irgendwann will jeder mal raus aus seiner Haut
Irgendwann denkt er dran, wenn auch nicht laut
Als ich wie der Himmel war überm Rosenstrauch
Setzte mancher sich und sprach: Rosen blühen auch
Ach, wie ist der Himmel blank – keiner kam darauf
Fiel mein Regen auf die Bank, standen alle Leute auf
Irgendwann will jeder mal raus aus seiner Haut
Irgendwann denkt er dran, wenn auch nicht laut
Keiner hörte, als ich sang, man sah das schöne Wetter
Keiner sah mich himmelblank, man sah die Rosenblätter
Meine Stimme sprang beim Sonnenuntergang
So schön wie Rosenblätter
Fiel mein Regen auf die Bank, mein Himmel wurde krank
Und auch mein Wetter
(1975)
Erwähnt werden muss im Rahmen dieser Empfehlung das nach einem Radiofeature für den Hessischen Rundfunk entstandene Sachbuch „Gegen die Angst, seid nicht stille“ von Doris Liebermann, das 2022 im Mitteldeutschen Verlag Halle erschienen ist. Es ist ein Fundus an Dokumenten, die die „totalitärstaatlichen“ (Kunert) Maßnahmen der DDR-Obrigkeit gegen Künstler wie Pannach, Jürgen Fuchs. Bettina Wegner und viele andere lange vor der Ausbürgerung Wolf Biermanns belegen. Zudem verdeutlicht dieses Buch, das einen im naiven Glauben geschriebenen Brief Pannachs an Erich Honecker enthält, die Umstände, die es überhaupt ermöglicht haben, den Prozess wegen staatsfeindlicher Hetze gegen Gerulf Pannach, Jürgen Fuchs und Christian Kunert abzuwenden und sie („Knast … oder Kudamm“ – Pannach) nach West-Berlin auszubürgern. Ohne politische Einflussnahme und die Solidarität im Westen wäre es schwerlich möglich gewesen.
Zum Abschluss noch einen Tipp: In „Worthaft. Texte politischer Gefangener“, der von mir 2018 herausgegebenen Sonderausgabe des „Poesiealbum neu“, finden sich Gerulf Pannach, Christian Kunert und Salli Saalmann als Autoren vereint.
Salli Sallmann (Hg.)
„Als ich wie ein Vogel war. Gerulf Pannach: Die Texte“
Berlin 2021
ISBN 978-3-86732-391-8
25 €