Empfehlung des Monats · Oktober 2021
von Jule Weinrot
Zeitnah zum diesjährigen runden Jubiläum des Münchner Dichter- und Verlegeroriginals Anton G. Leitner erschien im April sein neuer zweisprachiger Band Wadlbeissn: Zupackende Verse, aufmachungstechnisch angelehnt an seinen Vorgänger von 2016 mit dem ebenfalls etwas aufmüpfig anmutenden Titel Schnablgwax: Bairisches Verskabarett. Laut Paul-Henry Campbell verspricht der neue Band inhaltlich eine „Erweiterung der Klaviatur des poetisch Möglichen“, im Klappentext ist zudem die Rede vom „Gipfel der subversiven Mundartdichtung“. Fitzgerald Kusz, der wohl bekannteste und erfolgreichste fränkische Mundartdichter überhaupt, der selbst erst kürzlich (im August d. Jahres) einen Dialektband mit dem Titel Sunnablumma: Gedichte veröffentlichte, spricht in seinem Geleitwort von „Mundartlyrik ohne Heimattümelei“. Worin besteht bei Anton G. Leitner die Einbindung dezent verpackter Provokationen in seine bairischen und hochdeutschen Verse?
Die Kinder von den Eltern der Generation
Ich-Ich-Ich werden immer noch schlauer
»Ich verteile nur noch sehr gute Zensuren«,
Sagt der Lehrer,
»Dann erspare ich mir den Ärger
Mit den Rechtsanwälten
Der Eltern, und meine Schüler
Benoten mich dafür mit Zwei plus im Evaluierungsbogen.«
De Kinda vo de gscheadn Äiddan
wean oiwei no gscheida
»I teil nua no Oansa aus«,
Sogd da Leera,
»Nachad gibds koan Eaga mea
Mid de Rechdsvadrea
Vo de Äiddan, und de Schüla
Gem mia aa a guade Nodn.«
Ein unterschwellig sehr effektiv wirksamer Teil von Leitners Kritik an gesellschaftlichen Erscheinungsbildern – unabhängig von seinen höchstpersönlichen ureigenen Übertragungen (nicht zwangsläufig Übersetzungen) seiner im Hochdeutschen etwas dezenter klingenden Verse aus dem niederdeutschen Bairisch – entsteht durch manche im Bairischen weitaus deftiger klingenden Worte, die weniger „Blatt-vorm-Mund“-Charakter besitzen, wodurch eine Zuspitzung des Ausgedrückten ins Satirische und Kabarettistische stattfindet. Jemanden auf Hochdeutsch als „Rechtsverdreher“ zu bezeichnen, könnte ja hierzulande mittlerweile juristische Schritte nach sich ziehen; indes verbirgt sich im Bairischen – durch seine ganz spezielle Lautsprache besonders im mündlichen Vortrag und gerade dadurch – etwas Komisches, etwas Schenkelklopf-Auslösendes, das eine möglicherweise ansonsten vielleicht anmaßend wertende Haltung nunmehr ins Amüsante, ins Komische gleiten lässt.
Me too
Die Frau des Vorstands-
Vorsitzenden hat plötz-
Lich unter dem Tisch
Begonnen, ihre Füße an meinen Beinen zu reiben
Da ist mir gleich
Ganz anders geworden.
Und als sie dann auch noch
Den Versuch unternahm,
An meinen Eiern herum-
Zuspielen, ist sie mir
Gehörig auf den Sack
Gegangen, und ich wurde
Von panischer Angst
Gepackt, dass mir der
Boss der Bosse die Genitalien
Wegrationalisieren lässt.
I aa
Am Big Boss sei
Oide hod auf oa-
Moi unddam Diesch
Zum Fuassln ogfangd.
Do is ma glei
Ganz andas woan.
Und wias aa no
Brobiad hod,
Mia an d’ Eia zum
Gee, iss ma
Sauwa aufn Sagg
Ganga, und i hob
Moadsschiss
Griagd, dass ma da
Dschief an säiwign
Obschnein lassd.
Die Gedichte in Wadlbeissn erzählen vom ganz alltäglichen Wahnsinn im weiß-blauen Freistaat, sie stellen laut MUH-Magazin ein „pointiertes Portrait bayerischer Wesensart“ dar.
Ein komplettes Jubiläumsinterview mit Anton G. Leitner findet sich hier:
https://dasgedichtblog.de/der-poesie-talk-folge-23-franziska-roechter-im-gespraech-mit-anton-g-leitner-zu-seinem-60-geburtstag/2021/06/16/
Ganz anders und möglicherweise aufgrund der fehlenden hochdeutschen Übertragungen noch ein Stück weit herausfordernder für Nichtgeübte des Fränkischen sind die Gedichte von Fitzgerald Kusz in Sunnablumma.
Fitzgerald Kusz habe den fränkischen Dialekt literaturfähig gemacht, so ist in der Buchbeschreibung von ars vivendi zu lesen. „Seine neuen Gedichte verstehen sich als Teil der universellen »Weltsprache der Poesie«“. Das Inhaltsverzeichnis verweist auf Autobiografisches neben engagierten Gedichten zu Lockdown, Zukunftsweisendes, Herzangelegenheiten und die Natur.
armer schboodz
This sparrow/who comes to sit at my window /
is a poetic truth / more than a natural one …
William Carlos Williams
wenni gwissd hädd
dass du dou
vuä miä rumhubfsd
häddi dä scho
ä boä schdreisälä
vo meim schdreislkoung
ibrich gloun
nou wärsd nu ä weng
dou bei miä bliem
und ned glei widdä
foddgfluung
Ein interessantes Interview mit Fitzgerald Kusz findet sich u.a. hier: https://www.sueddeutsche.de/bayern/nuernberg-fitzgerald-kusz-gedichtband-fraenkisch-1.5388797
Empfehlung: Diese zwei ganz besonderen und sehr unterschiedlichen Publikationen leisten einen außerordentlichen Beitrag zum Erhalt der Vielfalt und enormen Variationsbreite der deutschen Sprache. Der eigene sprachliche Horizont wird durch die Lektüren erweitert und hat man sich einmal darauf eingelassen, so wird man feststellen, dass mehr und mehr Gemeinsamkeiten zutage treten.
Fitzgerald Kusz, Sunnablumma: Gedichte
Taschenbuch, ars vivendi; 1. Edition (19. August 2021)
ISBN 978-3747203088, 128 Seiten, 15,- Euro
Anton G. Leitner, Wadlbeissn: Zupackende Verse. Bairisch – Hochdeutsch
Gebundene Ausgabe, Volk Verlag; 1. Edition (1. April 2021)
ISBN 978-3862223527, 200 Seiten, 18,- Euro