Gedicht des Monats · Dezember 2015
Jürgen Jankofsky
In urbe Libzi
Zeitbeschleunigung allenthalben: neunzehnfünfundsechzig erst feierte Leipzig seinen achthundertsten, nun, zweitausendfünfzehn, seinen tausendsten Geburtstag. Keine Frage, es bewegt sich was an der Pleiße. Und während man sich in den sechzigern ganz auf sich selbst, auf die Stadtwerdung fixierte, bringt nun ein Blick über die Stadtgrenzen hinaus ratzbatz den ach so werbeträchtigen Zeitgewinn: Thietmar, Bischof in Merseburg und großer Chronist, erwähnte das in seinem Machtbereich gelegene Nest Libzi tausendfünfzehn erstmals: „Dann erkrankte der wackere Bischof Eid, der eben mit großen Geschenken aus Polen zurückgekehrt war, und gab am 20. Dezember in der Burg Leipzig Christus seine treue Seele zurück.“ Tja, Merseburg stand im Zentrum hier, nicht Leipzig. Und nicht von ungefähr war auch ein Merseburger Bischof Gründungskanzler der Leipziger Universität.
„Es gleist wie Merseburg, ehe dasz es nicht soviel Spitzen hat…“ -wohl einst weithin beliebter Vergleich, akzeptierend Pracht & Macht der alten Dom- und Schlossstadt an der Saale, sieben stolze Dom- und Schlosstürme allein, dann die Kirchtürme St. Sixtis, St. Maximis, St. Thomaes sowie bis in reformatorische Zeiten auch St. Petris und all die Bewehrungen der Burg- und der Stadtmauer… Hoftage der Ottonen, der Salier, der Staufer, der Welfen… und große Künstler, Musiker, Schriftsteller, Wissenschaftler, Politiker hinterließen Spuren. Doch vielleicht bringen Leipziger Bewegungen auch das zeitvergessene Merseburg wieder voran? Ja, mittels Zaubersprüchen sollte der Glanz großer Tage für Kommendes zu patinieren sein.
© Jürgen Jankowfsky
Quelle: Poesiealbum neu, 1/2015 „O Freude. Leipzig im Gedicht“