Januar 2024 – Empfehlung des Monats von Ralph Grünebeger
„An die Freude“ oder „Die Überraschung war perfekt“
Eine Empfehlung von Ralph Grüneberger
Als zum Ausklang der, nach drei Ausfällen, langersehnten Leipziger Buchmesse 2023 das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig und der Verein Deutsche Sprache e.V. (VDS) ins Leipziger Schillerhaus einluden, hieß das Thema, das ich für diese Lesung ausgegeben habe: „Ist Schillers Ode an die Freude ein politisches Gedicht?“
Den Rahmen für die Gruppenlesung mit Wolfgang Mayer König, Jörn Sack, Clemens Schittko und mir, moderiert von Jörg Bönisch und musikalisch begleitet von Jörg Schneider bildete die neuen Ausstellung des Museums „Götterfunken“ und gab damit das passende Stichwort für den Abend. Einen Abend, den der Universitätsprofessor Mayer König in einen hochschulreifen Vortragsabend verwandelte. Und wohl niemand im Auditorium konnte sich seiner profunden Ausarbeitung des Themas entziehen, auch wenn er damit die vereinbarte Lesezeit seinerseits willkürlich überzog.
Im geübten Vorlesungston greift Wolfgang Mayer König den Gegenstand auf und verhandelt ihn im Kontext seiner Zeit: „Schon die Fragestellung teilt sich in zwei Ansätze“, referiert er und fragt: „Ist die Ode an die Freude an sich politisch, oder wurde sie im Laufe der Zeit nur politisch vereinnahmt? Schiller selbst sah, nachdem die prärevolutionäre Euphorie der 1780er Jahre bei ihm erkaltet war, seine Ode an die Freude keineswegs als Meisterwerk, sondern von der Realität abgewandt.“ Und dann trägt der Wiener Universitätsprofessor, der bei dieser Veranstaltung überdies (auf eigene Kosten) das Buchmesse-Gastland Österreich vertritt, akribisch Schillers Zwiespalt zu dem seinem Mäzen Christian Gottfried Körner gewidmeten Gedicht zusammen und offeriert gleichermaßen ein Zuhör-, sprich Lesevergnügen. Dem 40-jährigen Friedrich Schiller ist nicht mehr so zumute wie noch 15 Jahre zuvor, als er in eben diesem Bauernhaus des Dörfchens Gohlis in erster Fassung sein Trinklied an die Freude verfasste. Entstanden war „eine Gleichzeitig zwischen göttlicher Beseeltheit und die Menschen verbindenden Kraft und Eigenschaft der Freude“. Mit dem Verweis auf die ersehnte „Brüderlichkeit“, benennt Mayer König die politische Dimension dieses hymnischen Texts. Doch nichts an seiner Abhandlung wirkt belehrend, vielmehr ist es ein unterhaltsamer Exkurs, der um eben dieses Gedicht kreist, dem die Vertonung durch Ludwig van Beethoven die Bekanntheit und den Rang eines Völkerlieds verschaffte.
Und was war an diesem Buchmesseabend das Ende vom Lied, aber nicht das Ende vom Lied an die Freude? Der Vortragende Wolfgang Mayer König hält bei seiner Lesung nicht etwa ein Manuskript in den Händen. Nein, es ist ein gebundenes, liebevoll gestaltetes Buch, mit dem der Autor, Mitglied in der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik, seine Beziehung zu eben diesem Leipziger Schillerhaus manifestiert. Lesens-, sehens- und empfehlenswert!
Wolfgang Mayer König: Ist Schillers Ode an die Freude ein politisches Gedicht?
Verlag: Buchschmiede Wien / Bezugsquelle: Buchhandelskette Hugendubel
Preis des Buches: € 20,70 / Preis des E-Books: € 8,99
ISBN: 978-3-99152-039-9 (Hardcover)
ISBN: 978-3-99152-040-5 (E-Book)