Ursula Maria Wartmann: Nachtkinder in hohen Hüten

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Empfehlung des Monats Februar 2024 von Florian Birnmeyer:

Ursula Maria Wartmann: Nachtkinder in hohen Hüten

Ursula Maria Wartmann, gelernte Soziologin und Journalistin, hat inzwischen mehrere Lyrikbände veröffentlicht. Ihr aktuelles Werk „Nachtkinder in hohen Hüten“, das eine lyrische Trilogie abschließt, ist ein pessimistischer Abgesang auf die von der Natur entfremdete Gesellschaft, der mit Hintergründigkeit und auch Ironie den Leserinnen und Lesern einen Spiegel vorhält. Ursula Maria Wartmann dringt in die neuralgischen Punkte unserer Zivilisation vor, fernab jeglicher romantischer Idyllen. Biedermeier und Romantik, das sind Erscheinungen, die in ein längst vergessenes Gestern gehören.

Doch geht es auch in „Nachtkinder in hohen Hüten“ nicht gänzlich ohne idyllische Naturszenen. Nur ist bei der Lyrikerin Wartmann dieses urpoetische Motiv in jeder bukolischen Szene bereits in Auflösung begriffen, gleich einem verlockenden und betörenden Kunstwerk, das seine eigene Zerstörung beinhaltet:

Auf den Feldern schlafen nun
von riesigen Maschinen aufgebrochen
die nackten Schollen im
öligen Schwarzglanz der herbstlichen Feuchten.

Wartmanns Lyrik zeichnet sich durch eine fast maschinenhaft geölte und eingeübte Sprachpräzision aus, die sich sowohl in gesuchtem Vokabular („Äsen“, „maunzen“, „Tüll“), aber auch in dem gezielten Einsatz von sprachlichen Mitteln (Antithesen, Alliterationen, Assonanzen) und im eingängigen Dahinwogen des Rhythmus spiegelt.

Unter den Flügeln der
wilden Vögel sitzen wir
hoch über dem heißen Glitzern
der Meere den Abbruchkanten
der Welt und dem stillen Sterben der Wälder.

In „Nachtkinder“ greifen Gefühle, Natur, Sehnsucht, romantische Rückstände auf der einen Seite sowie Zivilisation, Technik und Entfremdung auf der anderen, stets ineinander. Es klingt auch eine Ahnung von Krieg an, eine Vorausahnung, die auf eine fernere oder doch nicht allzu ferne Zukunft verweist, in der unterdrückte und sublimierte Affekte wie Wut, Sprachlosigkeit, angestaute Gewalt und Einsamkeit in einer technisierten Gesellschaft ans Tageslicht gekehrt werden.

Sie sitzen am Rand des Waldes sie
baumeln mit den Beinen ab und zu
ein Wort während in ihrem Rücken
der Forst sich vom Gemetzel erholt.

Wartmann schwankt zwischen Zivilisationskritik und Naturerscheinungen hin und her, ein zeitgeistiges Spiel, das diesen Band aus der Masse der Lyrikneuerscheinungen durch einen gänzlich eigenen, sehr heftigen und auch gewaltgeprägten Tonfall herausstechen lässt. Auch in der Familie, die in unserer Gesellschaft den Nukleus bildet, findet die Lyrikerin keine Einkehr mehr, es herrscht nur Schweigen zwischen Eltern und Kindern. Statt Fürsorglichkeit und Nähe gibt es Distanz und Unterkühlung. Immer wieder von Neuem wird der Versuch unternommen, aus dieser Dynamik auszubrechen, ein neuer Anlauf gestartet, sich in eine bessere Welt, eine schönere Zukunft, eine hoffnungsvollere Utopie zu flüchten, doch am Ende bleibt da nur der doppelte Boden, der allzu oft unter den Füßen weggezogen wird. Und natürlich die Sprache, die als Retterin, Helferin und Ankerpunkt bereitsteht.

wir liegen bäuchlings
mit wund gebissenen Kehlen
am See. Wir kauen Sauerampfer
während die Flossen von Karpfen
durchs Wasserglatt pflügen.
Wir verschränken die Finger
und wir lassen Gedanken nicht
zu, auch nicht das ferne Grollen der Feuer.
Die Pipeline brennt.

Die Lyrikerin Wartmann beherrscht das Spiel mit der Sprache und den Worten, sie ist eine Sprachkünstlerin, die ihre Verse fest im Griff hat und mit Scharfsinn über die Zivilisation Gericht hält. Manchmal würde man sich ein wenig weniger Gewalt und Pessimismus im Tonfall wünschen, doch insgesamt ist es ein Gedichtband, der aufgrund der Eigenständigkeit seines wie in einer Litanei wiederkehrenden Tons in Erinnerung bleibt.

Ursula Maria Wartmann:
Nachtkinder in hohen Hüten

Hardcover mit SU,116 S., 24,00 €
ISBN 9783757830847
edition offenes feld, Dortmund 2023