„Am Ende der Sichtachse“
April 2022 – Empfehlung des Monats von Monika Hähnel
Nach Gegen acht im Park (2020) legt Ursula Maria Wartmann aus Dortmund nun bereits einen zweiten Gedichtband vor, der wiederum bei eof (edition offenes feld) erschienen ist. Als Schriftstellerin ist die mehrfach preisgekrönte Autorin vor allem durch Romane und Erzählungen, Reportagen und Essays bekannt geworden und hat nicht, wie weitaus üblicher, mit Lyrik begonnen. Dennoch haben wohl auch bereits die Sammlungen auf ihrer Homepage „Wortschätze und Bildwelten“ auf ihr poetisches Weltverständnis verwiesen, das in ihrer bisherigen Arbeit gründet.
Deshalb gliedert sich auch der neue Band inmehrere Teile, deren Überschriften sich jeweils
aus einem gleichnamigen Gedicht speisen und die thematische Spannbreite andeuten – schöne und gefährdete Landschaft und Natur, schwierige Geschichte und Gegenwart, Liebe und Trauer…
Einige Gedichte, die sich stofflich wohl eher vergangener Zeit verdanken, machen durch die Parallelen zum Heute in besonderer Weise betroffen:
… so ruhig sagt das Kind aber wo ist er
der Krieg liegt im Graben in Stellung
die Stiefel gewichst die Bajonette
geschärft doch das sagt niemand
dem Kind hat genug gesehen
und erlebt soll nun glücklich sein. (Aus: In Stellung)
Manchmal sind es solche Szenen, die die Strophen tragen und insofern sich wie Prosatexte organisieren, aber immer zeigt sich auch das starke Interesse der Dichterin, uns als Leser durch originelle Bilder, sorgsam gewählter Sprachelementen verschiedener Stilebenen und stark auch durch den von den Zeilensprüngen bewirkten Rhythmen zum aufmerksamen Lesen anzuregen.
Das erweist sich durchaus als nicht einfache Aufgabe, zumal in der Regel auf alle gliedernden Satzzeichen verzichtet wird und nur der Punkt hinter dem letzten Vers sagt: Ende.
Oft entsteht aber gerade durch diese Mittel auch Doppeldeutigkeit: wir lassen das hungrige Herztier / hinter dem Rippenbogen grasen; es wird nicht losgelassen, es darf sich nähren. Am Strand beperlt die Bö unsere Haut oder Im schillernden Radschlag / der Federn das Funkeln des Fensters / als du es hastig schließt sind nur zwei Beispiele der sehr gelungenen und aus emphatischer Beobachtung kommenden Bilder, die gleichsam einen Anker werfen in unsere Assoziationen.
Dann macht auch das einzelne ungewöhnliche Wort, zum Beispiel Saugfuzß aufmerksam, dass es kein Druckfehler ist, sondern, verwandt mit dem althochdeutschen fuoz, zeigt, wie der Gecko, der eine Glasscheibe durch die Haftlamellen an seinen Füßen hinauflaufen kann, hier im Gedicht dem Tag seinen Stempel aufdrückt.
Solche Wortpreziosen finden sich mehr – Lebendrupf, Sonnenknistern, steifer Brokat, kantiges Gold – und auch sie tragen dazu bei, dass sich die Gedichte überzeugend mit den scheinbar aus der Zeit gefallenen Lithographien des niederländischen Gillis van Scheyndel (gestorben 1679) paaren. Ein gelungenes Lese- und Schaubuch wartet auf unsere Entdeckungen!
Ursula Maria Wartmann: „Am Ende der Sichtachse„
edition offenes feld, Dortmund 2021
Hardcover mit SU, Fadenheftung
ISBN 9783754304730
100 S.
19,50 €