Über Ulrich Becks Lyrikband komm & geh zeiten: Cowboy oder Ritter auf modernen Kriegsschauplätzen

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Empfehlung des Monats · April 2018
von Franziska Röchter

Wenn ein Lyriker die „Härte der modernen Arbeitswelt mit ihren Athleten des Managements“ (Waschzettelbeschreibung) thematisiert und selbst ein nicht geringer Teil genau dieser bedichteten Arbeitswelt ist, also in zwei vielleicht nur auf den allerersten Blick extrem gegensätzlichen Parallelwelten zuhause ist, dann wird man neugierig und fragt sich, wie er das macht. Wenn man aus Ostwestfalen kommt und gleich im ersten Gedicht auf der Innenseite des Schutzumschlages dieses qualitativ hochwertigen Hardcoverbandes mit Lesebändchen Bielefelds Existenz mit der Unsichtbarkeit von Briefkasten- oder Scheinfirmen  verglichen wird,  dann muss man sich Ulrich Becks Gedichte einfach einmal genauer anschauen …
Und freut sich gleich eingangs im ersten Kapitel kommzeiten über die Doppeldeutigkeit der Stockfische. Ulrich Beck beschreibt den zeitgenössischen Manager als modernen Cowboy, dessen Arbeitsplatz einer gefährlichen Westernstadt gleicht, das Büro stellt letztendlich eine Art Saloon dar, in dem jederzeit zum Duell aufgefordert werden kann (einreiten, eine variation). Der Feierabend – oder der Untergang – wird im Parkdeck eingeläutet …
Doch die Welt des Topmanagements und der Hochfinanz ist nicht nur Wilder Westen, nein, auch Schlachtfeld und Kriegsschauplatz schlechthin.

Ulrich Beck
frontbericht

wenn sich der rauch verzieht
schweigen an den besprechungstischen
killing zone vorm kaffeeautomaten
die crema wandert in asservatentaschen
unbenutzte body bags blitzblank

Der Kampf um den vordersten Platz im Wettbewerb, für corporate identity und stetes Wachstum („zurück ein begriff / vergangener epochen“ – wunderbar hier die mehrfache Deutbarkeit des Wortes „seals“ in Teil 3 von corporate warriors) lässt die Kriegführenden zu modernen Rittern in einer Welt voller „schaum aus blasen“ werden, die eigentlichen Leistungserbringer, die „tapferen“ der Nachtschicht, morgens zu einem „Heer“ „lebloser“ mutieren, die der Macht der Kontrolleure und Effizienzgaranten ausgeliefert sind (kurzfristige inspektion),  der Cowboy der Hochkonjunktur ein körperlich verschlissener Schreibtischtäter mit Dauerschlafmangel (auf dauer betrieb) ohne Zeit für Fitness, der dem Stau auf der Autobahn (Synonym einer Angst vor dem „nicht mehr flüssig sein“) mit den „erschwindelten Höhen“ der individuellen Hubschrauberbeförderung entkommt.

Nicht erst jetzt, aber allerspätestens beim Gedicht heimatkunde wird durch eine unverwechselbare Handschrift deutlich, dass das Lektorat dieses Gedichtbandes sehr gründlich vom Chef des Anton. G. Leitner-Verlages höchstpersönlich sowie seiner langjährigen Mitarbeiterin Gabriele Trinckler begleitet wurde.

Die Komposition von Ulrich Becks komm & geh zeiten erlaubt in den drei mittleren Kapiteln (#intermezzo I, auszeiten und #intermezzo II) eine kurze Auszeit von Wirtschafts- und Wachstumskurven und wendet sich den etwas basaleren Freuden des Lebens zu. Hierzu zählen zweifelsohne weibliche Kurven und die dazugehörigen Freuden, Feiertage, Urlaubsschwenker und Feuchtfröhliches.

„alles hat seine zeit“

Im fünften Kapitel gehzeiten befasst sich der Autor mit den letzten Dingen.
Ob es um die „tägliche ration tod“ auf Leinwand oder DVD geht (#Krimischwemme), um Vergangenheitsbewältigung anhand einer dorfchronik, ob es um die Verhinderung von Traditionsbegräbnissen im Winzerwesen geht (ein nein zur Weinbergfusionierung), um kultur.untergang oder um die eigene Vergänglichkeit (wenn wir sterben): Die Verse Ulrich Becks sind neben all der Schwere der Themen immer auch leicht, immer auch frei von Ressentiments, frei von Pathos. Hier ist einer, der die Widrigkeiten des Lebens annimmt (die bei jedem Seitenwechsel auch vorhanden wären), einer, der das Beste aus der Situation macht und das Schöne nicht aus den Augen verliert. Irgendwie eine besondere Mischung, dieses gleichzeitige beheimatet Sein sowohl in der Kälte der brutalen Business-Welt als auch in der erholsamen Landschaft der Poesie, die das Buch von Ulrich Beck ausmacht. Aber eben diese Bipolarität macht seine Texte auch so glaubwürdig.
Nach Michael Augustin (Geleitwort) ebenfalls ein wunderbares Zeitzeugnis für Außerirdische: Falls wir Erdlinge jemals in die Verlegenheit kämen, Extraterrestrialen „ein Bild vom Zustand unserer Welt zu vermitteln“,  so wäre genau dieser Lyrikband von Ulrich Beck bestens geeignet.

Ulrich Beck
lange tage

und wieder nicht gemessen
die komm- und gehzeiten
papierkram, so weit das auge
reicht, das reißen in der hüfte

und schrott mein rechtes knie
die gelenke krachen, progressiver
verschleiß. der körper hängt an
mürben sehnen, gelockert

der bauch. back to full fitness
kommt vor allem, außer vorm
kaffee. auf den weiten ebenen
des schreibtischs seh ich papier

hängen, liegen, fliegen lernen
und mediales, die kondition:
vorbild sein. das rollenmodell
an langen abenden reiten wir

ein, reiten wir aus, alles
hat seine konjunkturen
der tod stört doch nur
bei der arbeit

Ulrich Beck, privat.

Ulrich Beck
komm & geh zeiten
gedichte
104 Seiten, Hardcover
mit Schutzumschlag und Lesebändchen
edition DAS GEDICHT / Anton G. Leitner Verlag
ISBN 978-3-929433-35-7, Euro 15,-
Frühjahr 2018