Empfehlung des Monats · Oktober 2020
von Maren Schönfeld
Gino Leinewebers Lyrik wechselt zwischen – philosophischen – Blicken auf das große Ganze und situativen Betrachtungen einzelner Themen, Erlebnisse und Empfindungen. Der Autor verhandelt ehrlich und unverstellt, ohne inhaltliche oder formelle Attitüden, in knapp formulierten, prägnanten und überwiegend kurzen Poemen den jeweiligen Gegenstand seines Gedichts.
Der Einblick in männliches Empfinden, humorvoll zuweilen, manchmal auch größte Pein durchlassend, ist faszinierend. Das Alter(n), die Rolle in Beziehungen und in der Welt geht in die Lyrik ein und trägt zwischen den Zeilen Ungesagtes weiter, das nach der Lektüre fortwirkt. Die poetische Auseinandersetzung mit weltlichen Dingen wie Besitz und Status bleibt so angenehm zurückhaltend und verknappt, dass das Nachdenken darüber und das Herstellen eines Bezugs zur eigenen Lebenssituation fast unbemerkt beginnen. Von der allumfassenden Perspektive zurück im Detail, zeigt Gino Leineweber auf, was wir alle in den Beziehungen zu unseren Familien und Partnern erleben und versäumen.
Dabei schreibt er mal mit lyrischem Ich, mal in der dritten Person, was eine distanzierte, originelle Perspektive ist. Ein Gedicht aus dem ersten Kapitel empfinde ich als wegweisend:
Ich
Das Ich ist
Was Körper und Geist
Im Innern verbindet
Die Mitte der Platz
An dem
Von Augenblick zu Augenblick
Sich das Bewusstsein findet
Mich haben die Gedichte inspiriert, innezuhalten, hinzusehen, meine Innen- und Außenwelt bewusster wahrzunehmen und die Empathie für meine Mitmenschen nicht zu vergessen.
Lesung des Autors aus seinen Gedichten: http://www.weblesung.de/lyrik.html
Gino Leineweber, Silberfäden. Gedichte
Verlag Expeditionen, Hardcover, 216 Seiten
ISBN: 978-3-947911-18-9, € 19,90