Ralph Schüller: Danke. Schade – Gestaltungen als „Fortführung der Poesie im Bildnerischen“

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Empfehlung des Monats · August 2020
von Franziska Röchter

Das ist auch gewagt, mitten in einer in Dauer und Ausmaß nicht absehbaren pandemischen Krise ein kompaktes Doppelalbum herauszubringen, in Zeiten, wo der Launch cineastischer Pre-Bestseller vorsorglich um mehr als ein halbes Jahr verschoben wird, damit es „sich lohnt“.  In Zeiten, wo es flächendeckend  schlecht steht um (Klein-)Künstler, deren Kunst auch Einnahmequelle sein muss. Das macht den auch in der Realität sehr sympathisch-unprätentiösen Künstler Ralph Schüller, studierter Maler und Grafiker der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (man merkt es seinen selbstgestalteten Musik- und Bucherzeugnissen an),  noch etwas sympathischer, wenn die Kunst ohne Kalkül dann heraus muss, wenn sie reif ist. Es ist – „Danke. Schade“ – die 5. musikalische Produktion dieses vielseitig Schaffenden, die erste Doppel-CD im Digi-Pack, und sie besticht – wie auch ihre Vorgänger – schon rein optisch durch ein hohes Maß an Eigenwilligkeit; ohne es verbal festzuzurren: Das Cover ist einfach klasse und spiegelt im Bildnerischen das Aufeinandertreffen unterschiedlichster Stilmixe und Einflüsse wider. Dass die enorme instrumentelle Bandbreite (Akustik-Gitarre, E-Gitarre, Dobro, Mundharmonika, Akkordeon, Metallophon, Schlagzeug, Percussion, Bass, Trompete, Akkordeon, Wörlitzer Piano, Orgel, Violine, Ukulele, Posaune, Banjo …) beim Release-Konzert am 02.07 in der Leipziger „dieNato“ unter Corona-Bedingungen (nur 25 Zuschauer waren zugelassen, nur jeweils 5 Musiker durften zeitgleich auf die Bühne) live etwas gedämpft und zurückgenommen werden musste, macht es umso notwendiger für jeden Musikliebhaber, sich nicht auf den schnellen YouTube-Mitschnitt zu verlassen, sondern für die klangliche Fülle mit kammerorchesterähnlichem Ausmaß  – und hier ist nicht von aufgepimpten, krass getunten Klangkörpern und nachbearbeiten Sounds und Volumes die Rede, ich glaube, das fände Ralph Schüller viel zu unehrlich – diese Doppel-CD als Gesamtkunstwerk zu erstehen und mit guten Kopfhörern entspannt zurückgelehnt zu genießen und das künstlerisch gestaltete Booklet anzuschauen.

Auf Schüllers Musikerhomepage ist zu lesen, woher seine vielfältigen Einflüsse kommen, da ist u.a.  die Rede „von südamerikanischer Gitarre, Heavy Metal, Udo Jürgens und Schmidtchen Schleicher … Folk und Hip Hop, Dylan, Waits, die Pogues, einfach alles …“. Und stünde es dort nicht, der geneigte Zuhörer käme an dieser oder jener Stelle wahrscheinlich selbst drauf, würde an andere Allround- (oder Welt)musiker erinnert, die mit ihrer musikalischen Vielseitigkeit das lauschende Ohr geprägt haben …

Dass eine Produktion mit dem Titel „Danke“ beginnt, sagt einiges aus über den Künstler, bei dem das Positive an vorderer Stelle zu stehen scheint. Zuviel Meckerer und Miesepeter gibt es schon im Lande, zu viele, die kritisieren, kritisieren, kritisieren, und hier sagt endlich mal jemand, dass es auch Grund genug gibt, dankbar zu sein. Anstatt zu bejammern, dass die Geliebte gehen muss, bittet der Künstler in einer Hookline darum, sich die positiven Momente im Schlaf bewahren zu können: „Danke, danke, danke, bitte weck mich nicht, bevor du gehst“.
Auch der 2. Titel, „Es ist gut“, stellt zunächst das Positive in den Vordergrund:

Es ist gut, dass du dich sorgst  
und den Mund öffnest
und dich regst und dich regst
und dich regst

Es ist gut, dass du Wut hast
und dich im Ton vergreifst
und dich bewegst und dich bewegst
und dich bewegst

Dass all diese Wut und Verbalausbrüche mangels Kreatitivät im Nichts verpuffen, wenn nichts Neues entgegengesetzt wird („Aber wo ist deine Idee?“) und wenn keine Aktivität folgt („Wo warst du, als es schien / etwas Bess’res zu schaffen / Anstatt zu meckern den lieben langen Tag“), dass letztendlich durch Sprache Gewalt entstehen kann in einem „verdammten Niemandsland“, zeigt Ralph Schüller mittels krawallfreier Benutzung sehr unschöner Wörter (im CD Booklet schwarz gefärbt, auf der CD ausgesprochen) und verdeutlicht den teilweise gesellschaftspolitischen Impetus seiner Lieder, die musikalisch so schön daherkommen. Schüllers fundiert handgemachte Lieder erschöpfen sich eben nicht nur in romantischer, selbstreferentieller Beziehungstümelei so mancher gemainstreamter und von der Musikindustrie „gemachter“ Liedermacher, sondern bieten einfach mehr Tiefe, mehr Inhalt, mehr Poesie, mehr Anregung zum Nachdenken. Manche Stücke – wie z. B „Wunschballon“ oder „Trödeln“ – sind einfach nur schön, manchmal schön melancholisch, und laden zum Träumen ein, lassen die Welt vergessen. Stücke wie „Fruchtbar und furchtbar“, blueslastig, schunkelfest, mundharmonikadurchtränkt, laden augenblicklich zum Tanzen ein (Walzer!), bis man einen Drehwurm hat (letztes Wort der Lyrics: „schön“!). Songs wie „Bleib mir auf den Fersen“ lassen durchaus etwas von Hannes Wader anklingen.

„Wohin das führt“ (CD 2) besticht durch Reggae-Klänge und lässt mich an Hubert von Goiserns „Katholisch“ denken, ein Song, der mit rotzfrechem österreichischem Sprachduktus und lautstarker Vehemenz Goiserns Weltlichkeit zu rechtfertigen sucht und viel Witz beinhaltet – eine etwas andere Art von Witz ist auch bei Schüller in seinem etwas ruhigeren Song zu finden … Und in „Gleich“, nur 3 Lieder weiter, nehmen uns Piano-Klänge wieder mit auf eine melancholische Zeitreise, die uns ahnen lässt, dass Musiker manchmal einfach die poetischeren Dichter sind, wenn nicht vielleicht manchmal sogar die besseren.

Die Nacht ist warm und über uns die Sterne
Das wäre Grund genug, den Hut zu ziehn
Wo ich nie war, da sitze ich jetzt gerne
ganz stumm und neu
von Kopf bis zu den Knien

Schade, denkt man da, wenngleich das allerletzte Lied „Schade“ ein bisschen zeitgeistkritisch etwas von „Früher war alles besser“ anklingen lässt, schade, dass die Scheibe schon zu Ende ist … Aber man wird sie noch öfter hören … Und sich vielleicht die Vorgänger besorgen … Denn vielleicht gibt es ja irgendwann diese handwerklichen, musikalischen Allroundtalente nicht mehr, Musiker, die sich selbst ihre eigenen deutschen Texte schreiben, die sich selbst begleiten oder ein ganzes Kammerorchester um sich drapieren können, ohne darin unterzugehen, die an eine Zeit erinnern, als Digitalität noch nicht alles beherrschte und es noch auf handwerkliches Können ohne Konservendose ankam … (jetzt bin ich auch beim „früher war …“ gelandet …). Vielleicht aber gibt Ralph Schüller auch Anlass zur Hoffnung, dass diese immer rarer werdende Spezies am Musikerhimmel wieder neu im Kommen ist … Es wäre zu wünschen.


„Danke. Schade.“ (Doppel-CD)
Doppel-CD „SCHÜLLER – Danke. Schade.“ [2020]
DERMENSCHISTGUTMUSIK 2020
VÖ: 02.07.2020
Digipak, 44-seitiges booklet
Spielzeit: 95 min
20,00 € (inkl. 16 % MwSt.)
Zu beziehen hier:
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