Empfehlung des Monats · März 2017
Nora Gomringer & Philipp Scholz, Peng Peng Peng
Von der bereits in 2. Auflage erschienenen CD geht etwas Magisches aus, eine unsichtbare Kraft möchte dazu animieren, hinter jedes Peng! im dadaistisch anmutenden Titel ein Ausrufungszeichen zu setzen und das Werk als Aufforderung zum Abweichen von gewohnten Hörpfaden zu verstehen.
Obwohl nicht als AudioBook für Kinder daherkommend (und bei Volant & Quist auch nicht in einem Kinderbuchverlag erschienen), fühlen sich auf jeden Fall auch jüngere und im Kopf ganz jung gebliebene Menschen direkt und unmittelbar angesprochen, wenn gleich das erste Stück „Wie soll ich das beschreiben“ mit der echte Gesangsqualitäten aufweisenden Stimme der rezitierenden Künstlerin unter Begleitung psychedelisch-jazziger Trommelklänge effektvoll von der Wirkung des Wortklangs spricht und dabei mit den Beispielen von „Igel“ und „Boot“ und der direkten Ansprache des Hörers mit „Du Kind, du Mädchen, du Junge“ dieses unmittelbar demonstriert wird und eine Interaktion mit dem Rezipienten entsteht. Dabei wird geschriiiiien, gejault, gehechelt, dass es anschaulicher gar nicht ginge.
Meine Co-Rezipientin und verlässlicher Gradmesser für Humor und gute Unterhaltung (und in Unkenntnis der Bedeutung Frau Gomringers) ist sichtlich amüsiert und möchte unbedingt weiterhören, fühlt sie sich doch direkt von der nächsten „Geschichte vom Hund“ angesprochen.
Viele der vertonten Texte sind aus der Feder der Autorin persönlich und stammen aus ihrer Publikation: achduje. Sprechtexte, Der gesunde Menschenversand, 2015. Dieser Verlag beschreibt ihre nunmehr bei Voland & Quist vertonten Texte folgendermaßen: „Nora Gomringer kann mit ihren Texten immer auch anders … Sie überwindet Gattungsgrenzen – von Lyrik über Prosa bis hin zu Hörspiel-Skript oder Opern-Libretto – und macht zum Sprachereignis, was nicht so leicht zu erzählen ist.“ Das ist es wohl, was diese CD von vielen anderen, die lediglich aufgesprochene Texte enthalten, unterscheidet: Sie aufzulegen kommt dem Besuch eines Konzertes, einer Veranstaltung zwar nicht gleich, aber etwas nahe, das Hörerlebnis wird zum Ereignis, Erlebnis schlechthin. Das hat sicher etwas mit der Stimme der Künstlerin zu tun.
Ich denke, sie könnte lesen, rezitieren, was sie wollte – selbst die Wiedergabe eines Kuchenrezeptes oder eine Anleitung zum Gebrauch eines elektrischen Bleistiftanspitzers wären äußerst unterhaltsam. Es gibt eben Stimmen, die man trotz sämtlicher Höhen, Tiefen und ausmodulierten Frequenzen sehr lange hören kann, ohne sich nach Unterbrechung zu sehnen.
So lassen meine Mithörerin und ich uns immer weiter hineinziehen in diese Collage aus Texten über einen freiwilden Hund, Wahrheitssuche, einer Begleitung bestehend aus dem Quietschen von Kleinkindergummispielzeugen und Canopus Drums, märchenhaften Xylophon- Klängen, Triangeln sowie einer „Artikulationsanomalie zur Effektsteigerung“ (aus: Gang mit Hermelin), die Anhörung übt geradezu eine „Effektsteigerung“ ins Hypnotische auf uns aus, und die gesprochenen Regieanweisungen für die musikalische Begleitung, die in einen märchenerzählerischen Leseton übergehen, um dann wieder schauspielerisch zu einer lispelnden Nasalstimme oder später in einen bayerischen Duktus zurückzukehren, lassen das mit 21:44 Minuten längste Stück auf der Scheibe nicht langatmig werden.
Atmosphärisch besonders dicht sind auch solche Stücke wie „Geister“, kongenial mystisch von Philipp Scholz mit Klängen verwoben. Und nach der „Kindergeschichte“ haben wir wieder einen ganz besonderen Spaß bei Gomringers Lautgeburt von E. Jandls „Perfektion“ oder der Vertonung von Kurt Schwitters „Du unbekannte Frau“. Die Vertonung etlicher Texte ihres Vaters, Eugen Gomringer, ist sicher ein ganz besonderes Schmankerl dieser Audioproduktion. Wie auch der Umstand, dass wir in „Frustration“ (Text: Dorothy Parker) Nora Gomringer – leider nur kurz – als Jazzsängerin erleben.
Eines meiner Lieblingsstücke auf der CD ist (unter anderen) Gomringer & Scholz‘ Interpretation von Heinrich Heines „Sie saßen und tranken am Teetisch“, zeigt es doch den absoluten Liedcharakter, der Heines Texten innewohnt.
Diese CD kann vielerlei Menschen empfohlen werden: Poesie-Freunden, Menschen, die Nora Gomringers Texte mögen, Menschen mit Affinitäten zu Dadaismus, Konstruktivismus, Surrealismus, Jazz- und Musikliebhabern, Freunden von Rhythmus und Klang, größeren und kleineren Menschen, die gern Märchen lauschen, Menschen, die eher auf einer intuitiv-emotionalen Ebene einen ganz anderen, unmittelbaren Zugang zu Hörerlebnissen haben.
Peng Peng Peng, Nora Gomringer & Philipp Scholz
Audio CD (Februar 2017)
Label: Voland & Quist (Broken Silence)
ASIN: 386391161X, Euro 15,-
© Franziska Röchter
Ralph Grüneberger: Bienen über Brooklyn – Texte zu Amerika 1997-2016
Ein Titel, der Erwartungen weckt. Brooklyn lässt an Häuserschluchten denken, doch Ralph Grünebergers Amerika-Texte, Gedichte und Miniaturen, bieten nie das, was wir erwarten, sie sind Impressionen einer Reise mit ungewöhnlichen Begegnungen und Annäherungen, die von vier Sprechern mit großer Einfühlsamkeit artikuliert werden. Die Schauspieler Steffi Böttger, Johannes Gabriel und Axel Thiemann sprechen sie in der deutschen, Graham Welsh in der amerikanischen Version.
Auch wenn wir vier Stimmen hören, bleibt es die Reise eines einzelnen Mannes, der im Flugzeug spürt, dass er ein „einäugiger Passagier“ ist, „ohne die Geduld der Vorväter bei der Überfahrt. Ich schaue auf die Uhr, nicht nach der Sonne.“
Und dann findet er sich in New York an der 37. Straße inmitten von „Gottes / Fruchtgemisch die Menschen.“ Er beobachtet und vermittelt die Stimmungen in seiner Sprache.
Am Broadway
Die Zeit steht, die Parkuhren laufen.
Das Geheimnis ist: Du bist
Und du bist nicht.
In dieser Stadt erscheint ihm die Nacht als „eine lange Werbepause“. Und es gibt auch die Bienen. Angeblich so viele, wie die Stadt an Einwohnen zählt. Der Honig aus Brooklyn allerdings hat den „Geschmack von Ampelkreuzungen“. In New York kann er nicht mehr auf Jimi Hendrix treffen, aber auf Dichter in Greenwich Village, die ihren „Schnaps mit Autographen“ zahlen.
Weiter geht es nach Virginia, wo in der Nacht die „Grillen telegraphieren / Im Land ohne Ende.“ Nach einer Tabelle der Dixie Miller Combination in Old Virginia ergeben „fünf Pfund / Weizenkörner drei Pfund / rein weißes Mehl.“
Was für eine Rechnung!
Könnte ich fünf Wörter hingeben
Und du läsest drei heraus.
Das Hörbuch bietet ca. eine Stunde Text und Musik als Hörgenuss. Manche Texte bleiben nicht nur beim ersten Zuhören ein Geheimnis. Aber das Hören und Wiederhören lohnt sich. Anderes erschließt sich rascher und bleibt unvergesslich, so das Bild des Bettlers in Washington, dem der Dichter einen alten Dollar schenkt, obwohl dieser Dollar selbst ein Geschenk war, das Geschenk eines Pfarrers.
Als es noch die DDR gab. Seither
Der Dollar an der Korkwand pinnte
Wie eine fremde Flagge für
Einen fremden Kurs.
Der Bettler kann den Wert des Scheines
Nicht ermessen. Kann ich es
Ja selbst kaum mehr.
Ein Stipendiatenaufenthalt am „Virginia Center for the Creative Arts“ war Grüneberger 1997 ermöglicht worden. Amerika ließ ihn nicht los. Er kehrte immer wieder zurück. Wer zuhört, wird verstehen, warum.
Ralph Grüneberger: Bienen über Brooklyn: Texte zu Amerika 1997-2016
Audio-CD – Audiobook, 2016 I
SBN: 978-3861899440, EUR 9,95
© Klaus Nühring
Lyrikheft 20: Ralph Grüneberger / Bettina Haller
Ebenfalls 2016 entstand in der exklusiven und seit 2005 in unregelmäßigen Abständen erscheinenden Lyrikheftreihe der 1998 gegründeten haller.sonnenberg-presse.de unter Herausgabe von Bettina Haller Lyrikheft 20 mit einer strengen Auswahl von 14 Gedichten des Schriftstellers Ralph Grüneberger, deren Entstehung durch Studienaufenthalte in den USA seit 1997 sowie Nachrichten und diverse Lektüren angeregt wurde.
Im Handsatz (Bleisatz) sowie in Handarbeit (Fadenheftung) werden in dieser Reihe in Auflagenhöhe von 200 Exemplaren kleine Kunstwerke mit erstveröffentlichten Texten sowie begleitenden Originalgrafiken hervorgebracht, die echten Sammlerwert besitzen. In der Reihe finden sich Autoren wie Andreas Altmann, Jan Wagner, Lutz Seiler, Ingo Cesaro, Róza Domascyna und viele mehr.
In Lyrikheft 20 nun finden wir vier eigens dafür angefertigte farbige Originalgrafiken, Acrylstiche der Herausgeberin persönlich, die Grünebergers Gedichte, wie z. B. „Christmas Shopping in New York“, „Bienen über Brooklyn“ oder „Hotel Evenoy Club“ flankieren.
Was die Lyrikheftreihe zudem noch unverwechselbarer macht, sind die mit Original-Handschriften der Autoren bedruckten, immer wieder andersfarbigen Kartonumschläge der 20-seitigen Hefte.
Ein wirklich individuelles Geschenk für Fans und Liebhaber bestimmter Autoren, aber auch für Freunde originaler Druckgrafik (je nach Autor kommt hier auch die in einer rund 155 Kilometer von Chemnitz entfernten, zweiten Werkstatt produzierenden Künstlerin Andrea Lange zum Tragen), nicht von der Stange, ohne ISBN, nicht im großen A-Shop zu haben, aber mit enorm persönlicher und künstlerischer Note.
Was weiß die Katze, William
Was weiß die Katze
Von Geschichte, solange
Sie die Milch
Aus der Radkappe schleckt.
Lyrikheft 20, Ralph Grüneberger / Bettina Haller
Gedichte und Originalgrafik, 20 Seiten, Format 21,5 x 13 cm, Auflage 200 Ex.
26,- Euro / Ex., im Abo 18,- Euro, haller.sonnenberg-presse.de, Chemnitz
© Franziska Röchter