Eva-Maria Berg: “Horizona / Horizonte”

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August 2022 – Empfehlung des Monats von Franziska Beyer-Lallauret

„damit die Farben in den Augen überwintern“

Die Dichterin Eva-Maria Berg, unterstützt von Übersetzer Olivier Delbard, und der Künstler Matthieu Louvrier haben nach dem Erscheinen des gemeinsamen zweisprachigen Bändchens „Pour la lumière dans l’espace“ erneut zusammengearbeitet, so dass nunmehr „Horizons / Horizonte“ buchstäblich das Licht der Welt erblicken konnte. Denn um Licht und Schatten, genauer gesagt um den Himmel und seine Bedeutung für die Menschen geht es in dem Band, der wie sein Vorgänger im Atelier des Noyers erschienen ist. Die Gestaltung ist eher ungewöhnlich, das Büchlein ist lang und schmal, allerdings im Querformat; in diesem Landschafts- bzw. Panoramamodus kommen Louvrieus zarte Aquarelle besonders gut zur Geltung. Sie begleiten die knappen Verse Eva-Maria Bergs auf fast jeder Doppelseite. Links finden wir die deutschen und französischen Vier- bis Achtzeiler, rechts eine zweite Übersetzung in Wolken- und Firmamentfarbe. Durch das Versinken in diese wird die Lektüre zu einer Art Meditation.

Bergs Stil ist einfach und schlicht, birgt aber auch einige Überraschungen und neben gängigen Metaphern ungewöhnliche Bilder. Die konsequente Kleinschreibung lässt den Text schwebend wirken, was gut zum Inhalt passt. Die Leitmotive des Bandes, den man auch, alle knappen Strophen zusammengefasst, als ein einziges Gedicht lesen kann, sind der Himmel und die Wolken, die beide als Instanzen in unterschiedlicher Form personifiziert werden, also eine Seele haben. Immer noch sind sie der Aufenthaltsort der Götterwelt, von der sich die Menschen mittlerweile abgewendet haben: „früher fühlten wir uns den göttern verbunden“ heißt es, und auf der nächsten Seite: „heute fehlt uns die zeit / um sie zu beachten.“ Später die lapidare Feststellung „der himmel hat ausgedient“.

Die Konsequenz dessen bedeutet bei Berg Orientierungslosigkeit und Anarchie. Die „größten Nationen“ führen „nun“ im gottleeren Raum „Kriege, um Mond und Sterne einander zu rauben“. Obwohl der Band schon 2021 erschien, kommt er in diesem Gedicht der unmittelbaren europäischen Aktualität in ihrer Ausweglosigkeit sehr nahe. Spiritualität erscheint als Allheilmittel, zum einen gegen die Angst vor der Dunkelheit, der wir unablässig „entgehen“ wollen, zum anderen auch gegen grelles Licht, Hitze und Farblosigkeit der Landschaft – Phänomene, denen wir zunehmend ausgesetzt sind.

So finden wir, auch wenn es nicht direkt ausgesprochen wird, Spuren unseres unmittelbaren Erlebens, in der Zeit des Klimawandels, wo wir ständig fürchten müssen, „uns langsam in Luft aufzulösen“ und „aufs Fliegen verzichten“ sollten, wenn wir nicht wie Ikarus, der von Matthieu Louvrier meisterhaft klein an eine gelbe Wolkenwand geheftet wird, enden wollen. Klarsichtig schreibt Berg: „wohin man sieht / wächst das schwarz vor augen“. Der Himmel selbst droht, von einem „loch“ verschlungen zu werden.

Ein zweimal wiederkehrendes Verb ist „aushalten“. Es tritt zunächst oxymorisch im Zusammenhang mit „licht“ auf, später konventioneller mit „kälte und hitze“. Aber der Mensch wird die Hoffnung nicht aufgeben. Im Angesicht des Meeres und des zwangsläufig imaginierten Horizontes bleibt „sein auge ein spielraum / offen den möglichkeiten“. Wenn er aber sehend werden will, muss er über das Tageslicht hinausblicken:

mond und sterne

erfassen wir bloßen auges

im dunkeln und

suchen sie

vergebens bei licht

Hier stellt sich Eva-Maria Berg mitten in die Tradition der Frühromantiker. Schon Novalis sprach von den „unendlichen Augen, die die Nacht in uns geöffnet“[1]. Somit kann auch der Himmel überleben und in der Mehrzahl wiedergeboren werden. Wenn in der Realität „räume sich schließen / sind noch himmel / auf bildern zu finden“. Wieder ist es die Kunst, das berühmte hardenbergsche „Zauberwort“[2], das das Universum rettet und den Menschen mit dem Kosmos versöhnt. Die Himmel nämlich „malen die wand an / damit ihre farben / in den augen überwintern“.

Eva-Maria Berg / Matthieu Louvrier

Horizons / Horizonte.

L’Edition Atelier des Noyers,

Perrigny-les-Dijon, 2021


[1] „Himmlischer, als jene blitzenden Sterne, dünken uns die unendlichen Augen, die die Nacht in uns geöffnet. Weiter sehn sie als die blässesten jener zahllosen Heere – unbedürftig des Lichts durchschaun sie die Tiefen eines liebenden Gemüts (…)“ Aus: Friedrich von Hardenberg (Novalis), Hymnen an die Nacht, dritter Teil.

[2] Siehe das Gedicht « Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren“ von Novalis.