Empfehlung des Monats Juli 2024 von Daniel Aldridge:
Patrick Schild: Atemopale
Hanns-Meinke-Preis 2024: Patrick Schild und sein Lyrikband „Atemopale“
Ein Literaturpreis für den lyrischen Nachwuchs im Andenken an einen vergessenen Dichter
Heute gibt es in Deutschland über 500 Literaturpreise, darunter seit 2019 den „Hanns-Meinke-Preis“ für junge Lyrik, der sich an den lyrischen Nachwuchs richtet. Verliehen wird der Preis vom Berliner Verlag der 9 Reiche und dem im Harz ansässigen Verein „Lyrik lebt e.V.“.
Im Februar dieses Jahres jährte sich der Todestag des deutschen Dichters Hanns Meinke zum 50. Mal – doch kein Feuilleton würdigte diesen Meilenstein. Fast 90 Jahre alt wurde Meinke, doch in der Literaturgeschichte ist er kaum präsent, nahezu eine vergessene Randfigur. Geboren 1884, erlebte Meinke den Aufbruch ins 20. Jahrhundert, eine Ära des Wandels in Politik, Kunst und Literatur. Der junge Meinke entschied sich früh für die Dichtkunst, wählte jedoch den Lehrerberuf, wohl wissend, dass Lyrik kaum zum Broterwerb taugte. Der tägliche Umgang mit jungen Menschen hielt ihn geistig rege, und in seiner Freizeit widmete er sich seiner poetischen Leidenschaft.
Die Jugendbewegung des Wandervogels, die Freiheit und Selbstbewusstsein in der Natur und im gemeinsamen Singen fand, begeisterte ihn. Im Lehrerseminar begegnete er Rudolf Pannwitz, der ihm den Zugang zum literarischen Charon-Kreis und zur Schulreformbewegung um Berthold Otto verschaffte. Meinke blieb jedoch eine Randfigur, nie bereit, sich ganz anzupassen. 1905 erschienen seine ersten Gedichte in der Zeitschrift „Charon“.
Zu den bisherigen Hanns-Meinke-Preisträgern zählen Max Drushinin, Anselm Retzlaff, Gabriel Wolkenfeld, Patrick Hattenberg und Şafak Sarıçiçek. Wegen der Corona-Pandemie konnten die ersten vier Gewinner nicht einzeln geehrt werden, erst 2022 im Gutshaus Steglitz, Wrangelschlößchen. Jedoch 2023 fand eine Einzelveranstaltung für den letztjährigen Gewinner Şafak Sarıçiçek im Berliner Lessinghaus im Nikolaiviertel statt.
Zwei Wochen nach Hanns Meinkes 140. Geburtstagsjubiläum 2024 wurde der nach ihm benannte Preis von einer elfköpfigen Jury an den 29-jährigen Dichter Patrick Schild aus Simmerath bei Aachen verliehen. Schild gewann in den letzten Jahren bereits den Förderpreis der Gruppe 48 und den Klopstock-Preis für junge Lyrik.
Als Auszeichnung gab es für die bisherigen Preisträger neben einem Geldbetrag vor allem die Veröffentlichung eines Buches in der im „Verlag der 9 Reiche“ erscheinenden „Lyrik-Edition NEUN“, die eigens für diesen Preis entwickelt worden war. Die mit Illustrationen durch Linolschnitte des Grafikers Steffen Büchner veredelten Bände der Edition umfassen mittlerweile auch noch weitere Autoren, zuletzt u.a. Bände für die Leipziger Dichter Thomas Böhme und Andreas Köllner. Es gibt bereits über 30 Ausgaben.
„Vulkanische Poesie, die einfach aufkocht, aus der ewigen Quelle entspringt“
Für Patrick Schild stellt der Preisträger-Band „Atemopale“ sein Buchdebüt dar. Die zum Preis-Wettbewerb eingeschickten fünf Gedichte sind enthalten. Bislang war der junge Dichter mit Gedichten in Zeitschriften und Anthologien vertreten.
Jurorin Slavica Klimkowsky vom „Autorenforum Berlin“ würdigt Schild in ihrer dem Dichter sehr zugewandten Laudatio zum Hanns-Meinke-Preis u.a. mit folgenden Worten:
„Es gibt vulkanische Poesie, die einfach aufkocht, aus der ewigen Quelle entspringt und durch die Persönlichkeit des Autors kanalisiert wird. Das letztere trifft auf Patrick Schilds Poesie zu. Beim Gedicht [da-seins-form] flattert das Taubenherz in meiner Brust …:
der schlaf ist so undenkbar
dunkel, tief —
wie dein nicht-sein jetzt leuchtet.
… Ob augenzwinkernd und scharfsinnig, ob höflich, versöhnlich und diplomatisch, ich sehe wie Patrick Schild an eine unsichtbare Tür klopft, welche Qualen er erlebt, während der Text sich widersetzt, nach außen glänzt, nach innen zerfällt und es nicht zulässt Katharsis zu erreichen.“
Bei Patrick Schild fällt dem Juryvorsitzenden, PEN-Autor Harald Gröhler, vor allem das Gedicht [fröstelnd] auf:
„Schon das Wortpaar „eis und erinnern“ ist bemerkenswert, und zwar sowohl dem hier evozierten Bedeutungsfeld wie auch der Wortwahl nach …
ich gehe ziellos umher im gedächtnis des eises
— in der leere die unberührbar u. weiß ist —
zur grenzenlosen begegnung von eis u. erinnern
— zwischen gleißenden gipfeln, endlos, für immer. —
… Die Wortwahl ist sehr gelungen, und sie ist nicht bloßes Vehikel der Bedeutungen. Der Titel ist ironisch und spöttisch; tut dem Gedicht als Gegenbewegung sehr gut. Erst recht überzeugend und auch „schön“ ist eine Zeile …
wie, wenn das herz in rauch sich verwandelt
… sie ist wert, bleibend erinnert zu werden. … Der Dichter übertrifft sich hier sozusagen selber. Von Erinnern ist dann noch einmal die Rede, und das kommt dem Gedicht sehr zugute; denn Patrick Schild liebt an sich zerrissene Inhalte.“
In „Atemopale“ gibt es 3 Gedichtzyklen a 9 Gedichte. Der erste Zyklus „Narbenkartographie“ ist mit einer Hommage an den italienischen Dichter Andrea Zanzotto verbunden, den Eugenio Montale als „großen Erneuerer der Lyrik im 20. Jahrhundert bezeichnet hat. Im Klappentext heißt es:
Patrick Schilds erster Zyklus „Narbenkartographie“ gilt einer Auseinandersetzung des [wir] mit dem [ich]. Man spürt das unbewusste Suchen nach einem [du], dass mehr einem Sehnen gleicht. Dichtung wird als Ganzheit menschlichen Daseins verstanden. Hier wechselt sie zwischen elegischen und zarten Tönen:
„verpflanze schüchternheit
die mich begleitet u. an die ich mich lehne
mit der zärtlich verblühten blume meiner rau-reif-schulter“
Schilds zweiter Zyklus „Ruinenengel“ öffnet eine familiär-intime Stimmung, begleitet von Stille, Schweigen, Verstummen, gesehen als Bereicherung:
„Stille fließt
und füllt die Gläser“
mehr eine Empfindung als angestrebtes Ideal.
Der titelgebende dritte Zyklus versammelt Gedichte, die jedes für sich eine lichtere Antwort auf die vorangegangenen Zyklen ist, wie leise Musik in einer Melancholie.
Ein Gedicht aus diesem 3. Zyklus:
Der schöne Vogel ist anderswo
Der schöne Vogel ist
anderswo. Da wo die Stille
Türen zuschlägt und
Alphabete erfindet.
wo sie Klang-
kurven in ebene Schussfelder
setzt und dem Vokabular
bis ins Unterholz folgt.
Ja, der schöne Vogel ist
anderswo. Doch die
Gedankenkleider rascheln
von seinem Ruf.
So erhebt sich nun mit dem neuen Hanns-Meinke-Preisträger Patrick Schild eine frische Stimme in der Riege der Dichter unserer Zeit, fernab vom Krisentrubel der Weltgeschichte – die Stimme eines begabten schöpferischen Geistes, der am Anfang steht und hoffentlich all seinen Inspirationen und den Eingebungen all seiner Musen folgen wird.
Der Debütband „Atemopale“ von Patrick Schild erscheint dieser Tage in der „Lyrik-Edition NEUN“ des Verlags der Neun Reiche und kann in jeder Buchhandlung oder direkt über den Verlag erworben werden.
Auch im Jahr 2025 soll der Hanns-Meinke-Preis für junge Poeten (vermutlich wieder) bis 33 Jahre ausgeschrieben werden. Die Ausschreibung wird im Januar 2025 erwartet, auf den Webseiten des Verlags und des Vereins „Lyrik lebt e.V.“, sowie bei Literaturport und anderen Seiten.
Patrick Schild:
Atemopale
Broschur,32 S., 9,00 €
ISBN 978-3-948999-29-2
Verlag der 9 Reiche, Berlin 2024