Ein Remix wiedererfundener Zeit – Sören Heims lyrische Klänge und Farben auf der Suche nach Selbst-Bestimmung

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Empfehlung des Monats · September 2018
von Michel Ackermann

 

 

 

Moderne Kunst muss sich heutzutage nicht mehr rechtfertigen, ganz gleich, ob es sich um Musik, Lyrik oder visuelle Künste handelt. Denn die Moderne ist längst selbst ein Teil der Tradition geworden, überholt von Postmoderne und all den kulturellen Narrativen, die auch das “Everything goes“ schon wieder überholt haben. Deswegen ist es verständlich, wenn sich Künstler in diesem zeit- und kulturgeschichtlichen Nirwana selbst bestimmen und verorten wollen: “Erweisen wird sich, hoffentlich, dass die freie Form am Ende (…) nicht weniger streng ist als die äußerliche Strenge.“

Ob Heims klanglich, rhythmisch und inhaltlich einfühlsam und überzeugend geschriebene Poesie derlei Selbsterklärung überhaupt nötig hat …

… (ebenso wie den Untertitel “Experimente in Rhythmus und Melodie“) mag dahingestellt sein. Denn eine Dichtung, die nicht den Spagat zwischen sprachlich-metrischer Zeiterfüllung, zwischen Wortklangverliebtheit (ob “ungereimt“ oder gereimt) und semantischen Neuerforschungen versucht, würde allzu schnell in leutselige Armseligkeiten von Schlagertexten oder allzu offensichtlich hormongetriebene Hip-Hop-Wortfängerei hineingeraten.

Doch ist der Bezug zu lyrischer Zeiterfüllung hier eben auch einer zu zeitgebunden-literarischer Tradition, den Sören Heim in einem spielerischen Rückgriff auf Wortfarben zwischen französischem Symbolismus, deutschem Naturalismus/Expressionismus und anderen literaturgeschichtlichen Verweisen in seine Verse einfließen lässt, um dann nach vielen kurzen und im Verlaufe des Gedichtbandes zunehmend längeren und komplexeren Strophen und Wortmelodien doch wieder beim ‘lyrischen Ich’ anzukommen:

“ich bin ein alter / eine zeit // ein bruch“ (…)  “ich bin das licht, ich bin der räume falter. ich träume nicht. sag bin ich falsch hier? / bin verwunden? / bin? / gedächtnis …“

Das Mit- und Nacheinander von dergleichen unprätentiös lyrischer Selbstmitteilung und lyrisch-verspielten Wortklangreihungen macht die Anziehungskraft von Heims Gedichten aus. Die oben zitierte schlichte Selbstbefragung wird dann auch unverzüglich in einem “süchtigen Entzug“ aller Schlicht- und verweislosen Klarheit fortgesetzt:

“und meine lüstern langenden moirenfinger / meine ausgetrockneten hermeslippen / und o auch mein stygischer mund, so voller staubig geruch /  … “

Da schwingt auch eine gehörige Portion Ironie gegenüber zeitgenössischer Lyrik mit und Rühmkorf lässt herzlich grüßen. Zwischen all den Verweisen und einem vom Autor so benannten “remixing“ von Fragmenten aus 3000 Jahre Literaturgeschichte bis hin zu direkten Zitaten aus Songtexten von Jonny Cash scheint Heims Stimme manchmal fast zu verschwinden, um dann doch wieder ureigen zu ertönen, inmitten der Milliarden Klangstimmen einer sprachlichen “Weltmusik“:

“zeit währt stunden, heutig weilt / leben schallenteignet. / verkehr- / te welt, bleibt: …“

Sören Heim, kathaStrophen, chiliverlag 2017

 

Sören Heim, kathaStrophen – Experimente in Rhythmus und Melodie, Gedichte.

chiliverlag März 2017, ISBN 978-3943292541, € 9,90

Sören Heim, Autor und Dichter