Ein Leuchtfisch im Trüben – Ein Satz mit Rot

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Ein Leuchtfisch im Trüben –  Michael Starcke: das meer ist ein alter bekannter, der warten kann
Rolf Birkholz: Ein Satz mit Rot
Lyrik-Doppel-Empfehlung des Monats · Juni 2016

Ein Leuchtfisch im Trüben –  Michael Starcke: das meer ist ein alter bekannter, der warten kann

Nun konnte das Meer nicht mehr warten. Michael Starcke (19.12.1949 – 19.02.2016) hat nur wenige Tage, bevor er eintauchte „in himmel und wasser / zum wunderbaren versteck“ (am rand der zeit), seinen neuen Lyrikband im elif verlag vorgelegt. Das Cover ist düster, der einzig farbige, rote Fisch leuchtet nur noch schwach zwischen all den trüben, dunklen.

Wer so viele Gedichte vom Meer schreibt, weiß, was auf ihn zukommt. Bereits im Band Herzschlaf (Gedichte zu Trauer, Trost und Hoffnung, chiliverlag, 2015), an dem Michael Starcke sich intensiv mit Texten beteiligt hat, heißt es im Gedicht „friedhöfe“: „wenn ich übers leben / und seine verwandlungen / nachdenken möchte, / finde ich mich immer / auf friedhöfen wieder.“
Hier, in seinen Gedichten vom Meer, vermittelt Michael Starcke den Eindruck, als sei er beabsichtigt noch ein letztes Mal ans Meer gefahren, um Abschied zu nehmen; den „aufenthalt am meer“ vergleicht das lyrische Ich mit dem „empfang eines briefes / aus sandigem papier“, der zwar an jemand anderen adressiert sei, aber „trotzdem dem / tiefgang meiner schwermut / entspricht“.
Das zweite Gedicht im Band, „festliche blumen“, beschreibt den Zyklus des menschlichen Werdens und Vergehens und endet mit dem Bild eines auf wogendem Wasser schaukelnden Blumenteppichs nach einem Meerbegräbnis.

Michael Starckes Gedichte sind melancholisch, philosophisch, realistisch, bewegend, nie aber verbittert oder enttäuscht darüber, „dass wir abgetaucht / nie tief genug kommen können / den eigentlichen grund zu erreichen / der im dunklen wartet“. Er beschwört das Bild des Leuchtturmwärters (im zeitspalt) im „heimleuchtenden“ Turm herauf, der, sich zwischen Himmel und Erde befindend, keinen Moment zweifelt „am rettungsanker / sternenklarer nächte“ oder am „sinn seiner arbeit“. Michael Starckes Gedichte vom Meer handeln von „der liebe / und ihren salzigen küssen (schreibe ich vom meer).

Das Meer mit all seinen Geräuschen vermittelt „geborgenheit“, die aber gleichzeitig „unruhig macht“, weiß der Dichter doch um die „am grund der meere“ paradiesische, aber auch unendliche „einsamkeit“, der wir uns „nähern / auf geliehenen rädern“.  Michael Starcke fühlte, dass es „zeit wird / die koffer zu packen / für eine andere / unbeabsichtigte reise“, das lyrische Ich wird „in den meisten meiner träume“ vom Meer gerufen.

Michael Starckes Poesie „hallt wider“, „ist echo auf alles“, was er erlebte. „meine poesie bin ich / sanft und melancholisch / aber auch verzweifelt wie der schrei / mit dem man hochschreckt / aus visionen und träumen“.

Wir werden die Poesie Michael Starckes, der Mitglied der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik e.V. war, schmerzlich vermissen.

 

piraten- oder engelsnamen

geschichten vom meer
handeln vielleicht
von unangekündigten besuchen.

sie lieben das offene
im verborgenen.
sie leben von
wettern und salziger luft.
geschichten vom meer
tragen piraten-
oder engelsnamen.

geschichten vom meer
sind ruhelos,
nasse, verrutschte laken,
den falten ähnlich
der zeit, blasse narben.

geschichten vom meer
können schweigen.
sie sind schmerz und abschied
und sehr erfahren.
sie sind geschenk und verzicht.
dem warten geben sie eine stimme,
der liebe, dem nüchternen zorn.

 

Michael Starcke, das meer ist ein alter bekannter, der warten kann, gedichte
Elif Verlag, Februar 2016, 84 Seiten, Euro 13,95
ISBN 978-3981750928

© Franziska Röchter, 21.02.2016

 

Rolf Birkholz: Ein Satz mit Rot

Nach seinem ersten schmalen Lyrikband „Auf grauer Spur“ (2010, 5. Sonderheft Der Dreischneuß) wird es sechs Jahre später bunter und forscher mit Rolf Birkholz‘ (*1955) Gedichten. Nach seiner Aufnahme ins Jahrbuch der Lyrik (2015) gibt es keinen Grund mehr, sich farblich oder sonstwie selbst zu bescheiden. „Ein Satz mit Rot“ ist ein Titel, der nicht nur fast zeitgleich und kontrapunktisch zu Michael Starckes letztem Gedichtband erschien, sondern auch sofort Neugier weckt: Welcher Satz? Oder bezieht sich „Satz“ gar auf den Buchsatz? Und überhaupt verheißt Rot so einiges. Diesem geweckten Interesse wird unmittelbar durch die farbige, ins Rote tendierende Buchgestaltung Rechnung getragen.

Sowieso sind die Lyrikbände des relativ jungen Elif-Verlages von Dinçer Güçyeter schon rein optisch Gedichte. Zumeist in englischer Klappenbroschur gebunden und auf sehr solidem, griffigem Papier gedruckt, grafisch und ornamental sehr individuell angereichert, wirken sie wie kleine Kostbarkeiten und verliebte Hommagen an die Gattung Poesie.

„Ein Satz in Rot“ ist persönlicher als Birkholz‘ erster Gedichtband. Er enthält vier farbliche, Orientierung gebende Kapitel: Pressweiss, Ein Satz mit Rot, Azurn gestreift und Gondelschwarze Seele. In Pressweiss lässt Rolf Birkholz seine Kindheit und Jugend im beschaulichen Ostwestfalen Revue passieren. Die frischen Brötchen für Opa,  die leidige Schul“karriere“,  das Verlassen des Elternhauses, der Tod des Vaters, eine geheimnisvolle rote Briefmarke, Verwandtschaft, der Traum vom Traumberuf sind die Themen des ersten Teils und geben peripher Einblick in prägende Lebensphasen eines der besten und pointiertesten Kulturjournalisten und -Rezensenten derjenigen Region, in die uns das Kapitel entführt.
Kapitel zwei klärt uns nicht nur über die – noch einmal ganz andere – Sinnhaftigkeit des Buchtitels auf, sondern streift ostwestfälische Schauplätze wie Bielefeld oder Gütersloh und ist im Detail Personen gewidmet, die die Jugend des Autors durchkreuzten. Es fällt auf, dass der Dichter, der Provinzialität seiner jugendlichen Umgebung in Gedanken entfliehend, das Lyrische Du einsetzt (z.B. in Jugend in G.), wo eigentlich ein Lyrisches Ich gemeint sein müsste, das Lyrische Ich also ein zumindest gedanklich in die Ferne schweifendes Alter Ego besitzt.
Nach Ausflügen in entferntere Gegenden (Mecklenburg, Tirol, Frankreich) gepaart mit amourösen Lichtblicken in Azurn gestreift (Wenn du vom Duschen kommst …) widmet sich der vierte Teil den „höheren“ Dingen, dem Spirituellen („und sucht verloren – das größere Zelt“). Sinnsuche im Rahmen institutionalisierten Glaubens, Anspielungen auf Celan, die Freiheit, in den eigenen vier Wänden Zwiegespräch unter „vier Augen“ halten zu können.
Der Band ist durchwoben mit Zitaten oder Motiven dichterischer Persönlichkeiten (u.a. Rilke, Beckett, Büchner u. m.) und enthält am Ende zwei freie Seiten, die explizit für eigenen Notizen gedacht sind.
Insgesamt: Ein Stück Literatur, das entdeckt werden will – und zwar nicht nur von Ostwestfalen!

 

Jugend in G.

It’s just another normal day
Tucker Zimmermann

Den meisten schien schon Bielefeld die Welt.
Ja, ja, Bob Dylan, Mann, kam hierher nie,
ins flachere Westfalen, wo Stille gellt.

Nur Tucker Z., ein leiseres Genie,
ließ uns für Abende uns selbst entkommen,
zwölf Saiten, Überlebensklang, Magie.

Was Jungsein hieß, das ahntest du verschwommen,
In meiner Stadt war ich allein. Du gingst
gedanklich fort, dir blieb, hier anzukommen.

Wobei du Vers für Vers um Fassung ringst.

Rolf Birkholz, Ein Satz in Rot, Gedichte
Elif Verlag, Januar 2016, 58 Seiten, Euro 11,95
ISBN 978-3981750911

© Franziska Röchter, 05.05.2016