
Empfehlung des Monats August 2025 von Slavica Klimkowsky:
Christine Kahlau: „Träume, vielleicht auch Schwüre”
In ihrem Vorwort schreibt Eva-Maria Nerling: „Diese Gedichte sind eine Autobiografie in sich, sie können da, wo sie ernst sind, Zuversicht verbreiten. Sie verstecken nicht das Leid, sie sprechen von seiner Überwindung, aber auch von Heiterkeit. Die Dichterin Christine Kahlau vergisst darin und in der Freude nicht die Selbstbeherrschung – manchmal auch selbstironisch. Die Texte umspannen Jahrzehnte mit Höhen und Tiefen, verlieren sich nicht aber nicht in Selbstbetrachtung. Immer liegt darin die Perspektive, sich mitzuteilen und sich den Lesern zuzuwenden. Auf verschiedene Arten begleiten die Bilder die Inhalte und weisen auf ihren Kern hin …“
„Lebenssinn“ (Seite 20):
„all diese Aufgeregtheit
ein ganzes Leben lang:
Verdrehtheiten
Irrungen
Zweifel und
seitenlange Erklärungen
dabei wäre es so einfach:
…“
Eine kraftvolle Poesie, die Sprache emotional zurückhaltend und intellektuell dicht, enthüllt das Alltägliche, Verlorene, Verschwiegene, Ersehnte. Zerbrechlichkeit und Stärke der Frau in der Reflexion über Stadt, Gesellschaft, Familie und Körper.
„So viel Meer“ (Seite 23):
„Meerjungfrauen werden an den
Strand gespült, der ewig ruht
wo der Bernstein in der Sonne wartet
um sich dem zu zeigen, der nicht sucht
….
Meerfrauen raffen ihre Netze
um ein Leben zu führen wie alle
tauschen ihre Flosse gegen Beine ein
die sie irgendwann zurücktragen zum Ufer
wo sie sehnsuchtsvolle Lieder singen
von einem Leben, tief unten im blauen Meer“
Eine Autobiografie – die Konstruktion des eigenen Lebens durch persönliche assoziative Gedichte, aber auch ein ethisches Engagement für die Erinnerung – originell und in poetischer Reife.
„Kaffee in Sarajevo“ (Seite 20):
„stark, süß, mit Milch oder Ohne –
genossen in einer Ruhepause
zwischen den Regentropfen von S.
den geschäftigen hinterher blickend
die hin und her strömen
Geschäftsleute, Hausfrauen, Zigeuner,
Kurzhaarige, sie Langhaarige, Bärtige und
modisch gekleidete Kopftuchfrauen
sowie Schwerenöter jeglicher Couleur
Hier scheint sich alles zu mischen, ohne sich
zu binden!
kaum angekommen, denke ich bereits
mit Bedauern an mein Wiederfortmüssen
bosnischer Kaffee braucht Gelassenheit
um sich zu setzen
dann heiß getrunken, belebt er ungeheuerlich“
Es geht aber auch um die „Zeit“, die „rast im Mercedes / vorbei // blau-metallic / mit 200 Sachen …“ und „Die Zeichen der Zeit“, den „Zeitgeist 2000“ und darum, die eigene Identität zu bekräftigen, vor allem aber sie zu öffnen, neu verstanden und interpretiert zu werden.
Christine Kahlau gelingt es meisterlich, die Verbindung geschlechtsspezifischer Spannungen, schwelender sozialer Rebellion und die Fragilität der eigenen Erwartungen, Verbindungen und Zugehörigkeiten sichtbar zu machen.
Ein schönes Buch, auch sehr schön gestaltetes Buch mit teils farbigen Grafiken von sechs befreundeten Künstlerinnen der Autorin. All das zusammen ist eine wunderbare poetisch-künstlerische Reise durch die Zeit und meine absolute Leseempfehlung!
Christine Kahlau:
Träume, vielleicht auch Schwüre. Gedichte.
Mit Grafiken von 6 Künstlerinnen der FrauenDruckwerkstattPrenzlberg
Hardcover,56 S., 19,00 €
ISBN 978-3-948999-90-2
Verlag 9 Reiche, Berlin 2024
