April 2023 – Empfehlung des Monats von Kai Agthe
Thomas Rackwitz: in meinem garten steht ein blauer eisberg
April 2023 – Empfehlung des Monats von Kai Agthe
Ein Vers noch für den Heimweg
Die AGB, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, kann man auf Internetseiten durch Klicken auf „Ich stimme zu“ wegklicken, ohne auch nur einen Satz gelesen zu haben. Die AGB, die „Allgemeinen Gedichtsbedingungen“, von Thomas Rackwitz jedoch wird man nicht so einfach übergehen, heißt es doch in dem Text warnend: „indem sie sich weigern, diese zeile zu lesen, / bekennen sie sich schuldig, / ein verräter des gedichts zu sein“. Wer will das schon? Denn bekanntlich ist die Lyrik eine bedrohte literarische Art.
Das freirhythmische „AGB“ eröffnet „in meinem garten steht ein blauer eisberg“, den neuen Gedichtband des 1981 in Halle geborenen und in Blankenburg (Harz) lebenden Lyrikers. Dessen jüngste Sammlung zeigt abermals, dass er eine der wichtigsten Dichterstimmen in Sachsen-Anhalt ist.
Sein von viel Grün umgebenes Lebensumfeld, das einst an der innerdeutschen Grenze lag, thematisiert er oft. Zumindest Rackwitz’ lyrisches Ich ist sich sicher: „in blankenburg beginnt der wilde westen“, wo man Löwen statt Pferde sattelt, wie es in der frechen Fantasie „blankenburger wildnis“ heißt.
Hier eher humorvoll-ironisch, hatte Rackwitz bereits in „an der schwelle zum harz“ (2014) mit ernstem Ton eindrucksvoll gezeigt, dass Harz-Gedichte zu schreiben heute noch möglich ist, und zwar ganz ohne vorgefertigte sprachliche Bilder, in denen der Wipfel zum Gipfel findet.
Ebenso eigen und urwüchsig sind im aktuellen Band Rackwitz’ Gedichte zum „Märchenwald“. Dort ist der Spiegel der Königin aber zerschlagen und der süße Brei hat die Flüsse verklebt. Damit steht die Frage, ob das Wünschen noch hilft. Fast tröstlich endet das Kapitel mit der in „Ruf“ formulierten Gewissheit: „was ich verliere an gestalt, / holt sich zurück der märchenwald.“
Auch in dieser Sammlung überrascht der Dichter wieder mit einer großen Vielfalt an Themen und lyrischen Formen. In dieser ist ein Text – er heißt „draußen“ – so kurz und bündig, das er hier vollständig zitiert werden kann: „weltraum, finstere / tiefe, darin die fische / ihre bahnen ziehn“. Und in „heimweg“ ruft uns der Autor zuletzt zu: „heb dir noch einen vers auf für den heimweg.“ Das machen wir gern.
Thomas Rackwitz
„in meinem garten steht ein blauer eisberg“
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2022
ISBN 978-3-96311-618-6
93 Seiten, 12 Euro