Empfehlung des Monats · Juni 2019
von Philipp Röchter
Der Name des in Deutschland geborenen amerikanischen Schriftstellers und Dichters Charles Bukowski (1920-1994) dürfte bei vielen Leuten ganz bestimmte Assoziationen hervorrufen: Schnell wird das Bild eines misanthropischen Alkoholikers und selbsternannten Gossenpoeten gezeichnet, der sein Leben und literarisches Schaffen dem Schreiben über gescheiterte Schicksale, die Schlechtigkeit des Menschen, die seelenzerfressende Tretmühle des Lohnsklavendaseins und überhaupt die Sinnlosigkeit und Absurdität der menschlichen Existenz im Hamsterrad eines gegen ihn und die Natur, also gegen das Leben an sich gerichteten Systems widmete. Das alles begleitet vom über allem stehenden Dauersuff, dem häufig letzten Zufluchtsort der Protagonisten aus Bukowskis Erzählungen von gebrochenen, aber ungebeugten Lebensgeschichten voller Elend und Leidenschaft, Tod und Sehnsucht: eine Art latent dauerhafte Todessehnsucht gepaart mit einem unlöschbaren Durst nach Leben – und nach Hochprozentigem, um bei dem ganzen Wahnsinn das Gleichgewicht nicht ganz zu verlieren.
Nicht wenige „Zeitgeistgeschädigte“ würden Bukowski gerade in heutigen Zeiten der als Menschenfreundlichkeit und „Zivilcourage“ getarnten zunehmenden Gesinnungsdiktatur und Unterdrückung der freien Meinung und des freien Wortes „Gedankenverbrechen“ wie Frauenfeindlichkeit, Sexismus, Rassismus etc. unterstellen. Diese zu reinen Totschlagkeulen und zum Abwürgen jeglicher non-konformistischen, nicht „politisch korrekten“ Meinungsäußerung verkommenen Worthülsen würden dem alten Herrn wahrscheinlich entspannt an der Quelle seines Fäkalhumors vorbeigehen (siehe seine zahlreichen „beer shit“-Referenzen). Es wurde auch über Bukowskis angebliches Liebäugeln mit dem Nationalsozialismus spekuliert (ähnlich wie bei Céline, einem seiner literarischen Idole und Vorbilder), was daher rührt, dass er als angehender und ziemlich bald scheiternder (weil scheitern wollender?) College-Student während der Kriegsjahre nicht in das antideutsche Horn der Mehrheit seiner Kommilitonen blies und sich durch als provozierend empfundene und mehrheitsuntaugliche Äußerungen gerne selbst ins (soziale) Abseits stellte (siehe z.B. hier: https://bukowskiforum.com/threads/was-he-really-a-nazi.17/ ).
Diese bewusste oder unbewusste Selbstsabotage ist überhaupt ein interessanter Aspekt vieler kreativ Begabter, selbiges Phänomen zieht sich auch wie ein roter Faden durch das Leben z.B. eines Townes Van Zandt. Ein meines Erachtens nach sehr sehenswerter Buchrezensent beschrieb die jungen und düsteren Jahre Bukowskis einmal als das Dasein eines Taugenichts erster Klasse (siehe hier: https://www.youtube.com/watch?v=OvHLrBzIFvo ). Wie dem auch sei, meiner Meinung nach wird bei genauerer Beschäftigung mit Bukowski klar, dass er wohl kein überzeugter Anhänger dieser oder jener Weltanschauung gewesen war – in seiner politischen Bezugnahme deckte er lediglich regelmäßig die Widersprüche und Inkonsistenzen sowie die Heucheleien und Lächerlichkeiten einzelner Akteure oder Bewegungen sowie strukturelle Fehler auf, letztlich immer auch ein Verweis auf die Absurditäten des kollektiven gesellschaftlichen Affentheaters und auf die Tragikomödie, die ein einzelnes Menschenleben häufig darstellt.
Einen nicht unerheblichen Anteil an dem öffentlichen Bild Bukowskis hat er sich sicherlich selbst zu verdanken, sei es durch Ausschmückungen des eigenen Werdegangs zum Antihelden bis hin zur Mystifizierung („The 10 Year Drunk“) oder durch öffentliche Lesungen und Auftritte, bei denen die enormen Mengen Alkohol, die er in sich hineinschüttete, ziemlich wirkungslos blieben (zu finden im Netz, siehe z.B. Youtube). Dass es auch eine andere Seite des Menschen Charles Bukowski gab, eine nachdenkliche bis stark depressive, eine zärtliche, empfindsame und sehnsüchtige, ist eigentlich hinreichend bekannt und belegt, wenn man sich die Mühe macht, über den Tellerrand der Fassade hinauszublicken. Trotzdem bleibt diese Seite viel zu oft unerwähnt. Dies wird in dem 2015 erschienenen Kurzgeschichten- und Lyriksammelband „Charles Bukowski On Cats“ einmal mehr deutlich. Dieses Werk zeigt auf 118 Seiten interessante Einblicke in Hanks Beziehung zu seinen Lieblingstieren und lebenslangen Lehrern – wie gewohnt mit der für ihn typischen Mischung aus teils tiefer Traurigkeit und selbstironischem Galgenhumor.
Das Buch ist für Bukowski-Interessierte, egal ob Einsteiger oder Fan, einen Blick wert, da es größtenteils bis dato unveröffentlichtes Material bietet. Besonders hervorzuheben sind aus meiner Sicht die Texte „when everything seems like suicide finality“ und „Manx“ – in beiden geht es um das Durchhalten und Kämpfen, während alles um einen herum schwarz und endgültig sinnlos erscheint. Katzen als Suizidprävention bzw. Lebensretter? Bukowski jedenfalls schien darauf geschworen zu haben. Überhaupt wird seine Bewunderung für diese intelligenten, eleganten, ausdauernden und dem Menschen sinngebenden Tiere in den Texten immer wieder deutlich. Der geneigte Leser dürfte das so ähnlich empfinden, da sich wohl kaum weder ein Bukowski- noch ein Katzenhasser die Sammlung zulegen wird. Hier wird auch die elementare und übersinnliche (göttliche?) Verbindung zwischen dem Schriftsteller und diesen kaum zu ergründenden Wesen deutlich: Beide (Buk-Texte und Katzen) können etwas Magisches und Lebensrettendes ausstrahlen, was auch einer der Gründe dafür sein dürfte, weshalb sie sich einer fortwährenden Beliebtheit unter vielen Menschen erfreuen.
Charles Bukowski On Cats – erschienen bei Canongate Books Ltd.; Auflage: Main (4. August 2016), 118 Seiten – ISBN: 978 1 78211 727 8
In deutscher Übersetzung erschienen bei:
Verlag: KiWi-Taschenbuch (7. September 2018) Sprache: Deutsch ISBN-10: 3462051326 ISBN-13: 978-3462051322, Seiten, Originaltitel: On Cats