Empfehlung des Monats · Juli 2019
von Franziska Röchter
Zugegebenermaßen: Bei solch verbalem Herzensüberschuss schon in der Titelvergabe der einzelnen Texte (366 Gedichttitel, die als Komposita das Wort Herz beinhalten, dies zum ganz überwiegenden Teil als Wortbeginn) schwant einem zunächst ein höchst emotionaler Überhang. Und hat nicht auch manch einer den Bielefelder Verleger Günther Butkus – vielleicht pseudonymisiert – möglicherweise eher in der Ecke der hartgesottenen Kriminalschreiber vermutet?
Zunächst überrascht die Größe des Buches. Bei 366 angekündigten Herz-Gedichten befürchtet man eingangs, unter Umständen einen Herzkasper zu erleiden – haben doch vornehme Lyrikbände von Einzelautoren nicht selten bedeutend weniger als 100 Seiten und wirken extrem selektiert. Ein möglicherweise komplettes Lebenswerk von Liebesgedichten erwächst vor dem kalleidoskopischen Auge. Doch wie kommod handlich die in den Abmaßen postkartenklein gehaltene, aber umso kompaktere Sammlung in uni pinkem Leineneinband mit dezentem Glitzereffekt und grauem Lesebändchen daherkommt! Innerhalb eines Jahres seien all diese Texte (und weitere) entstanden: Aus über 1000 Gedichten konnte Günther Butkus schöpfen, wie Alexander Häusser im Vorwort festhält. Die vielen teilweise aphorismenkurzen, Wort für Wort präzise konstruierten Zeilen mit kalkuliert eingebauten Enjambement-Korsetts stehen in erfrischendem Gegensatz zu einem ansatzweise vermuteten Gefühlsüberschwang und zeigen, dass eine 392 Seiten umfassende Kurzgedichtsammlung voller Herzensangelegenheiten aus einer einzigen Feder keinesfalls überkoloriert sein muss.
Wen wundert’s, dass in den Dankesworten vorneweg u.a. auch Bielefelds bekanntester und erfolgreichster Liebeslyriker schlechthin, Hellmuth Opitz, als unterstützendes „waches Auge“ Erwähnung findet? Wer spekuliert nicht über den kühlen Lektoratscut, den einen Schleifmeister, der dem kultigen Koronarkompendium diese homogene Kallibrierung verlieh?
Wo in diesem Band anfangen mit der Erforschung Günther Butkus` kardiovaskulärer Konditionen? Das untere Ende des Lesebändchens liegt zwischen den Seiten 142 / 143. herzschnuppe und herzkorb.
herzkorb
wenn deine hände
mich mitnehmen
auf nächtliche reisen
packe ich mein herz
in einen korb damit
ich es nicht verliere
wie meinen kopf
Oder: das 44. Gedicht von hinten geblättert, Seite 336. Ein Jahr für Jahr besonderer Tag für den Autor:
herzzigarillo
auf dem balkon
über uns stieg
zigarillorauch
in den himmel
später auf dem
sofa sind mir
meine hände
entwischt und
worte folgten
wir bekamen es
beide zu spüren
(M)ein favourite:
herzbogen
mein herz ist
gespannt auf
dich zielt es
(S. 311)
Dieser Band mag ein persönliches Dokument einer Liebe sein – gleichzeitig und vor allem ist er aber auch eine zeitlose und äußerst geschmackvolle Geschenkoption für jene, die jemandem Liebe zeigen möchten, selbst aber nicht genau diese (oder ähnliche) Worte finden, die es Günther Butkus so leicht machen, bei anderen, auf jeden Fall bei einer bestimmten Person, „ins Herz“ zu treffen. Frei von Pathos vermitteln seine Gedichte neben all der Leichtigkeit auch den Ernst und die herausragende Wichtigkeit dieses zentralsten Steuerorgans und erinnern daran, dass die Pflege einer Herzensbildung mindestens genauso wichtig sein sollte wie die separate Schulung des Geistes:
herzbrain
nicht genug
dass es mich
schlägt nein
jetzt denkt es
sich auch noch
seinen teil
(S. 234)
Günther Butkus, HERZBAND
366 Gedichte über Liebe und Verlust
Pendragon, Mai 2019
329 Seiten, Euro 20,00