Empfehlung des Monats · März 2019
von Franziska Röchter
Eigentlich müsste man schon wieder einen ganz anderen Band von Michael Augustin empfehlen, ist der Liebhaber von Miniaturen und poetischen Kurzformen im Ausmaß und Umfang seiner Produktivität doch so ganz und gar nicht minimalistisch. Der stärkste Mann der Welt, der beim Einschlafen so gar nicht auf sein Kuscheltier verzichten kann, will jedoch erforscht werden und drängt aufgrund seines lausbubenhaften Titelcharmes in literaturkritischer Hinsicht möglicherweise extensivere Arbeiten wie „Duet of Hopes Nozomi no Nijuso (Japanese Edition, zusammen mit Maki Starfield und Sujata Bhatt, Übersetzer) zunächst in den Hintergrund.
Das titelgebende Gedicht erinnert an Pippi Langstrumpf, an das stärkste Mädchen der Welt, das ganze Pferde tragen kann und zwischen Kirchturmspitzen den Dorfplatz in luftiger Höhe per Seiltanz überquert, es auch mit Verbrechern aufnimmt und in die Südsee sticht, aber nachts allein am Fenster zum Himmel spricht: „Liebe kleine Krummelus, niemals will ich werden gruß.“
Michael Augustins mit „spitzer Feder“ geschriebenen Gedichte, Aphorismen, Gedankensplitter und Minaturen (Verlagsbeschreibung) werden mit 12 „ironischen Collagen“ des Autors illustriert. (Hat nicht Pippi Langstrumpf auch alles selbst gemacht: vom Eierpfannkuchen zur Haarmaske mit rohem Ei bis zu den selbstgebastelten Schrubberschuhen für die Dielenreinigung fiel ihr ständig etwas Neues ein …) Michael Augustin kombiniert die – möglicherweise per Holzstich geschaffenen – honorigen Köpfe überaus ordensdekorierter, meist (schnauz)bärtiger und ernst dreinblickender Personen, zumeist Männer, mit Insekten und Meeresgetier als Kopfschmuck – oder Hirnräuber –, was recht albern aussieht, wenn zum Beispiel ein Tintenfisch die Sicht verhindert oder die filigranen Flügel einer überdimensionierten Stubenfliege die Glatze verdecken.
Worüber aber schreibt der Autor, der stellenweise Rätsel aufgibt – so zum Beispiel über die gewichtsrelevanten Schnittmengen zwischen Vergangenheit und Zukunft – und über das Ich und die Anderen sinniert oder über die Analogie zwischen Liebe und einer fleischfressenden Pflanze? Ganz ohne das runde Leder (Strafstoß, Unser Torwart, Was der Ball sagt) geht es bei ihm nicht. Im Kapitel Klamottengedichte wird alles unter die Lupe genommen, was den Menschen zieren und als Attribut dienen kann: von den Socken bis zur Fernsichtbrille, vom Handy bis zum Ohrenstöpsel gibt es fast nichts, das nicht Michael Augustins Spaß an Bedeutungsübertragungen, sprachlichen Spielereien und interessanten Betrachtungen hervorruft.
Aber es gibt auch Gedichte, bei denen das Schmunzeln abgewürgt wird: Vor dem Gewandhaus ist so eines, das uns daran erinnert, dass bei aller Situationskomik oder auch Tragikomik die Vergangenheit, hier Leipzigs, eben auch überschattet wurde. Doch Michael Augustin weiß auch hier mit seinem grotesk-absurden Humor die Dramatik mit einer spielerischen Leichtigkeit zu entschärfen.
Für wen sind diese Bände – es gibt schon einige dieser Art von Michael Augustin in der Edition Temmen (z. B. Denkmal für Baby Schiller) besonders geeignet? Nun, für Vielreisende, für Zeitarme, für Nachtleser, für Multitasker, für Gestresste, für Witzbolde, für Humorvolle, vor allem aber für Fans von Michael Augustin (u. a. Festival Director von Poetry on the Road, Literatur-Festivalbereicherer all-over-the-world, jahrelanger Lyrik-feature-Readakteur bei Radio Bremen).
Michael Augustin, Der stärkste Mann der Welt
Miniaturen und Gedichte
Edition Temmen, September 2018
ISBN 978-3837870480, 148 Seiten
9,90 €