Verschlüsselung – Metamorphosen – Erinnerung: Beate Weston-Weidemanns „Partitur der leisen Geräusche“

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Empfehlung des Monats · Dezember 2018
von Marianne Beese

 

 

 

 

 

Ein erster, flüchtiger Blick in den neuen Lyrikband von Beate Weston-Weidemann legt den Eindruck nahe, dass ihre Gedichte einfach, konkret und auf alltägliche Situationen Bezug nehmend, einherkommen. Dieser Eindruck aber verliert sich schnell und es wird vielmehr deutlich, dass sie Entschlüsselung erfordern oder, anders ausgedrückt, Vexierbildern gleichen, in denen das sprechende ‚Ich‘ oft erst gesucht werden muss.

Fragen, die sich entsprechend stellen, sind zum einen die, wohinein es sich begeben hat, und zum andern, mit welchen sprachlichen Mitteln es sich ein ‚Versteck‘ geschaffen hat. Die Rezeption wird zu einer Entdeckungsreise, denn das Subjekt der Texte äußert sich in einer Sprache, die, eher skizzenhaft verknappt, oft nur andeutend, ja ‚aussparend‘, den Lesern vielfachen Assoziationsspielraum lässt und eine mehr oder weniger intensive ‚Übertragungsarbeit‘ erfordert, um das jeweilige Gedicht in die eigene Vorstellungs- und Empfindungswelt zu übersetzen.

Folgen Rezipienten den Verschlüsselungswegen der Dichterin, so müssen sie sich nicht nur auf Spurensuche in ihre Biografie, sondern auch in die Geschichte, Überlieferung, Kunst oder Literatur der eigenen, aber auch fremder Kulturen begeben, müssen den Entschlüsselungs-vorgang bzw. die Suche nach dem nicht immer leicht auffindbaren ‚Ich‘ leisten. Dabei zeigt sich: Jenes ‚Ich‘, das spricht, ist ‚heutig‘, aber auch welthaltig und Teil eines Kosmos von Beziehungen; es gewinnt eine Tiefendimension, ja scheint alle Phasen der Menschheitsentwicklung in sich verschlüsselt zu haben und sie abrufen zu können. Auch partizipiert es an einem Zustand, den das Märchen immer wieder aufgreift: an einer noch existierenden Allianz von Mensch und Tier und anorganischer Welt – mit der Möglichkeit, sich ineinander zu verwandeln.

Das ‚Verschlüsselungsprinzip‘ der Dichterin könnte also, in andere Begriffe übersetzt, ‚Metamorphose‘ lauten, ‚Transformation‘, aber auch ‚Erinnerung‘, die eine individuelle wie weltgeschichtliche gleichermaßen ist. Entsprechend handelt es sich bei der Lyrik Beate Weston-Weidemanns um eine Spielart ‚postmoderner‘ Dichtung, die anknüpfend und bewahrend auf historische und kulturhistorische Entwicklungen eingeht, sich in Kommunikation mit ihnen befindet bzw. aus Schichten des Gewordenen schöpft.

Gehört dazu auch die Bezugnahme auf die eigene Lebensgeschichte und Herkunft, so wird die Biografie zum Teil der Gesamtgeschichte, indem sie, über das individuelle Werden hinausgehend, die Erfahrungen der Vorfahren aufnimmt, bewahrt und weiter transportiert. In den Texten wird dabei – nicht ausschließlich, doch deutlich akzentuiert – an die Tradition weiblichen Erinnerns und Künstlertums angeknüpft zumal angesichts der so empfundenen Übermacht des ‚Männlichen‘ in der Menschheitsgeschichte. Grundsätzlich aber bildet das ‚männlich‘ Akzentuierte mit dem ‚weiblichen‘ eine widerspruchsvolle Einheit, die in den Gedichten immer wieder zutage tritt. Diese leben aus Spannungen, Polaritäten, die auszugleichen sind und in ihrem Zusammentreffen Entwicklung ermöglichen.

Gegensatzpaare der widersprüchlichen Einheit bilden etwa das Irdische und das Transzendente, das Empirische bzw. Materielle und das Ideelle, das Jetzige und das Frühere, das Konkrete und das Abstrakte, das genau beobachtete Nahe und das visionär Entfernte, das Bedeutungsschwere und das Beiläufige, auch Absurde. Weitere Themen, die einander dialektisch entsprechen, sind das Motiv von Erfüllung und Mangel, die Problematik von Wesen und Erscheinung bzw. Sein und Schein, Täuschung oder Fiktion und sinnlicher Realität, Handlungsimpuls des ‚Ichs‘ und passiver Selbstwahrnehmung. Die Polaritäten werden dabei meist alltäglichen Situationen abgewonnen; diese öffnen sich, verfremdet, auf ihre philosophische Tiefe, ihr Wesenhaftes hin.

Werden bei Lesenden vielfache Assoziationen ausgelöst gerade dadurch, dass elliptische Verknappungen oder Pars-pro-toto-Stilfiguren im lyrischen Text zum Tragen kommen, so bilden die knappen Wortaneinanderreihungen ein dichtes Geflecht von Bezügen, von Sinn auch durch ihre Bezugnahme auf textlich Vorgeformtes. Intertextuelle Bezüge spielen in den Gedichten eine wichtige Rolle, ebenso wie intermediale, was bedeutet, dass ‚Dichtung‘, ‚Musik‘, ‚Malerei‘, aber auch weitere künstlerische oder kunsthandwerkliche Gebiete, wie vor allem die Töpferkunst, in die Gesamtheit des Benennens einbezogen sind. Ebenso schreibt die Dichterin von einem philosophischen Ansatz her, knüpft an Weltbilder wichtiger Denker an und erprobt sie in der dichterischen Befragung. Dabei folgen ihre Texte bevorzugt einem Modulationsprinzip, geht ein angeschlagenes Thema nicht verloren, sondern wird variiert, durchgeführt und in seinem Bedeutungsgehalt entfaltet.

Die einzelnen Gedichte des Bandes wiederum nehmen aufeinander Bezug, kommunizieren miteinander, bilden letztlich  e i n  Gedicht – wobei die thematischen Verschränkungen ab Kapitel II noch stärker wahrnehmbar sind. Als Grundkonstante zieht sich durch dieses, aber letztlich durch alle Kapitel die Aussage, dass jenes Subjekt, das sich konstituiert, indem es sich verwandelt – und sich erinnert, ein dichterisches ‚Ich‘ ist.

Dabei dient die lyrische Sprache auch dazu, den Abschied von einem geliebten Menschen und von einem fremden Kontinent: Südamerika, sowie das Wiederankommen im heimischen Europa und in Thüringen in seinen verschiedenen Phasen nachzuvollziehen.

„Nachhut“, das letzte und zugleich wohl stärkste Gedicht des Bandes, scheint den Trauer- und Erinnerungsprozess, der die meisten Texte durchzieht, zu einem Abschluss zu bringen, wobei deutlich wird, dass eine Befriedung der Innenwelt des lyrischen Subjekts – und zugleich des Gegenübers, des ‚Du‘, erfolgt ist. Letztlich gelingt ein Verzeihen – für das eine sanft und human gewordene Mitwelt Bürgschaft zu leisten vermag. Innen- und Außenwelt kommunizieren in einem Kosmos des ihnen jeweils Zugehörigen, gehen dabei hochpoetische, teils surreale sprachliche Verbindungen ein und vollziehen einen Kreislauf, wobei Tod und Wiedergeburt ineinander greifen, das ‚Ich‘, das ‚Du‘ und ‚die andern‘; menschliche und tierische Geschöpfe, Dinge, Zustände, Begebenheiten; zeitliche und räumliche Bezüge miteinander ausgesöhnt und geeint sind.

Beate Weston-Weidemann
Araukarie

Wer hätte gedacht, dass
meine kleine Behausung
diese Woge bergen kann:

keine Kleinigkeit,
von Hoffnung zu sprechen!

Eine ungeduldige Sammlerin
auf Beutezug
mit dem Atem der Freiheit.

Vergib mir,
dass ich mit Leben
umgehe wie mit Lehen.

Dass ich die Tür
zugemacht habe zu dir
für die Kraft der Worte.

Beflügele mich nicht
vergebens.

Unter den Armen
ist ein Paradies
für Sinnsucher.

Beate Weston-Weidemann: Partitur der leisen Geräusche, Gedichte

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Beate Weston-Weidemann: Partitur der leisen Geräusche, Gedichte,
Edition Muschelkalk, Wartburg Verlag 2018.
ISBN 978–3–86160–553–9, 103 Seiten, 14,00 Euro

 

 

 

 

Beate Weston-Weidemann

 

 

 

 

 

 

 

Beate Weston-Weidemann, geboren 1960 in Eisfeld; Abitur in Bad Langensalza, Töpferlehre, ab 1984 als Töpferin in Westthüringen tätig. Zwei Kinder. Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Mitglied im VS sowie im Kunstwestthüringer e.V.; 2008–2010 Studienaufenthalt in Lateinamerika. Freiberufliche Tätigkeit als Autorin, Künstlerin und Kuratorin. Mitarbeit an Ausstellungen und Ausstellungskatalogen, u. a. für das Kunstforum Gotha. Veröffentlichungen: Milchstunde ohne Schwimmlehrer“, Weimar 2006 und „Niststätte für Wolken und Licht“, Rostock 2006