Worthaft. Eine Anthologie mit Texten politischer Gefangener

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Empfehlung des Monats · Oktober 2018
von Ralf Burnicki

 

 

 

 

„Ich halte den Band für bedeutsam.“

Im Westen Deutschlands aufgewachsen war mir die DDR fremd und als Herrschaftssystem nicht geheuer. Vielleicht fuhr ich damals gerade deshalb mehrfach nach Ostberlin und suchte auf dem Alexanderplatz einen Buchladen auf, um den Hauch einer Innensicht zu erhalten. Dort galt mein Interesse neben marxistischen Theoriebändchen unter anderem der Lyrik der DDR, und im Laufe der Jahre hatte ich mir einen kleinen Stapel Lyrikbände zusammengestellt. Warum griff ich zur Lyrik? Weil ich der Meinung war, dass man in Gedichten und zwischen den Zeilen die Hoffnungen der Menschen besser ablesen konnte als in den Verlautbarungen der staatlich zensierten Presse. Doch selbstverständlich unterlag auch diese Lyrik der Zensur, unterlagen die DDR-DichterInnen den politischen Zwangsmaßnahmen des Systems. Sie wurden beispielsweise wegen politischer Bagatellen inhaftiert wie dem Verlesen von Spottgedichten. Das erzwang in der Lyrik den Griff zur Selbstzensur oder zum verklausulierten Sprachgebrauch, das Wort war in Haft geraten.

Die im Band „Worthaft“ vertretenen Texte, meist Gedichte, stellen diese Seite dar, stammen von DichterInnen, die im Gefängnis einsaßen und zeigen auf, was die DDR am Menschen verbrochen hat. Die Gedichte und Texte schildern die Willkürmaßnahmen des Staates im Falle des Widerworts: Hausdurchsuchungen und Haft, scheinlegitimiert durch den Vorwurf „staatsfeindlicher Hetze“, dazu Schreibverbot und Gewalt. Die daraus resultierende Abschreckung der Mitmenschen und das geistige Mitläufertum nimmt sich der Lyriker Ulrich Schacht auf ironische Weise vor. Da sagt einer, was der Schrecken der Herrschaft ist, wird daraufhin von jener Herrschaft verhaftet, kommt in den Knast, und die Leute sagen „Das hat dieser Narr nun davon! / Warum musste er auch so / übertreiben“. Die Identifikation mit dem Aggressor ignoriert die Willkür und Gewalt, selbst wenn sie direkt vor Augen stattfindet. Ursache dafür ist die Angst, selbst zum Opfer des Staates zu werden. Solche Herrschaftsphänomene mit einfachen poetischen Mitteln aufzutun, das ist die Aufgabe politischer Lyrik und dieses Gedicht ein markantes Beispiel. Ähnlich prägnant ist ein im Jahr 1969 entstandenes Liedgedicht von Bettina Wegner („Magdalena 1“), das aufzeigt, dass sich staatliche Willkürherrschaft noch als „Liebe“ verstanden wissen wollte, eine Selbstverklärung, die zwanzig Jahre später in die Äußerung des Stasichefs Mielke „Ich liebe doch alle!“ mündete.

Harte Knastwirklichkeit wird bei Ralf-Günter Krolkiewicz aufgezeigt, wenn er die unerträglich langsam verstreichende Zeit in der Gefängniszelle thematisiert („Gefängnisballade“). Gedichte von Thomas Brasch, Michael Leisching und anderen sind Zeugnisse der Brutalität im Verhör und der politischen Pathologie von Schergen, die als Untergebene eines autokratischen Regimes nun selbst nach unten treten durften. Stellvertretend für alle AutorInnen des Bandes formuliert Anne Gollin über MithelferInnen des Regimes: „Wir werden ihnen das Vergessen nicht gestatten“.

Der Band „Worthaft“ leistet einen Beitrag dazu, dabei erfasst er nicht nur Erfahrungen mit der DDR, sondern es kommen auch politische Gefangene anderer Systeme zu Wort. Beispielsweise der von den Nationalsozialisten ermordete Anarchist Erich Mühsam („Sich fügen heißt lügen“) und der Expressionist Ernst Toller, der wie Erich Mühsam Mitglied der Münchner Räterepublik war und nach der militärischen Niederschlagung zu jahrelanger Haft verurteilt wurde. Mit diesen und den anderen Texten ist der Band ein nachgehendes Sprachrohr der Unterdrückten und eine aktuelle Mahnung, es nie wieder zu autoritären Verhältnissen kommen zu lassen, aus welcher politischen Ecke sie auch kommen mögen.

 

Worthaft. Texte politischer Gefangener. Sonderheft 2018 Poesiealbum neu

Poesiealbum neu, Sonderausgabe „Worthaft. Texte politischer Gefangener“,
104 Seiten, Edition Kunst & Literatur, Leipzig 2018, 7,80 Euro