„bis zu den engeln unter der erde“ & Die Leichtigkeit der Fülle : neue Lyrik von Blankenburg bis Gütersloh

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Empfehlung des Monats · März 2018
von Michel Ackermann

Thomas Rackwitzs zupackender lyrikband “IM TRAUM DER DICH NICHT SCHLAFEN LÄSST“ und Jürgen Zimmermanns „SAISONLYRIK

es geht ein mediales lächeln um, im zeitalter digitaler glücklichkeit. möglichst selfie-made, sozusagen eine art ego-digitales wasserstoffbömbchen, um die sozial-psychologisch obligatorische aufmerksamkeitsquote optimierter erreichen zu können. selbst die traurig-glücklosen hat die omni-glückliche gesellschaft im zweifelsfall fröhlich zu inkludieren.  denn auch egalität ist ein understatement in der ungleichen gesellschaft. solch epidemisches understatement hat längst auch alle genres der kunst ergriffen. mindestens die jedenfalls, welche abseits unbeliebter negativer dialektik darum bemüht ist, in der tonalität und totalität der lächelnden gesellschaft ihren “auch-ein-bisschen-fröhlichen-ego-platz“ zu finden.

Thomas Rackwitz, IM TRAUM DER DICH NICHT SCHLAFEN LÄSST

ich entschuldige mich … aber es musste gesagt sein! angesichts eines gedicht-bandes, der dermaßen frei von solcher anbiederungs-lächel-gymnastik ist, der dermaßen unbeirrt seine poetischen gesangslinien in den imaginären lauf möglicher weltvorstellungen zieht, dass man nur den hut ziehen kann, sich nur frei machen kann von der eigenen beeinflussung in der beschriebenen omnipräsenz des understatements, die auch mich eher hindert, mal frei von der leber weg und ohne inneres verschämt sein (man könnte mich ja blöd finden, so begeistert…) ganz einfach zu sagen: diese verse sind großartig! basta! haltet mich für unkritisch, naiv oder unsouverän. das ist mir gerade so egal wie dem barden des vorliegenden gedichtbandes, wenn er schreibt:

“der unendliche aufruhr entgegen dem sinn / ein echo aus einer anderen zeit.“ und das bereits im ersten der sechs großkapitel des buches mit der überschrift: LICHT –
– und ja, es wird einem innerlich heller in Thomas Rackwitzs lyrik, weil er den leser nicht in abstraktionen alleine lässt, sich aber eben auch nicht anbiedert im understatement. er singt, wie es eben kommt, zwischen wind, licht und schatten: “kommen die schatten der wind / hat sich gedreht weidet die stille aus / hält an den atem des echos / (…). und er singt weiter: “bis zum meer in seiner mondschwermut / bis zu den engeln unter der erde“.

so kann nur einer singend schreiben, der seine kunst aus dem leben erhört, nicht einer, der sie an den schreibinstituten der avangarde eingeimpft bekam: “als widerstand des lebens, den die zeit bezwingt / als durst, als himmelleiser unterschied (…), “und so schreibt nur einer, der sich nicht damit quält, ob er seine verse nun reimt oder sie ungereimt in wortmelodien reiht, denn die hinwendung an tradition und vers-laut ist bei Thomas Rackwitz kein rückwärts-impuls, auch kein reimen um des reimens willens und um des nicht-lassen-könnens von den lauschigen pforten lyrischer tradition. davon ist Rackwitz weit entfernt. seine versigen laute stehen mit ihren assoziativ-reichen wortbildern über einer bemühten selbst-zuordnung zu poetischen vorbildern: “in deinem glutnest wendet sich das blatt“ … “das niemandsmeer türmt salz auf, schicht für schicht“ … “am uhrwerk klebt noch morgenrot“ und “am kompass noch des windes dna“, und schließlich: “mit lichtfossilien oder staubfragmenten / verwachsen liegt dein bestienhaus im off“. das alles aus dem zweiten kapitel: FAST ANGEKOMMEN IM VERSCHWINDEN.

im gegenteil: bei manchem dieser fast hip-hop-rohen wortgesangsbilder würde ein hohepriester ernster lyrik vielleicht verschnupft mit dem kopf schütteln. so viel fast rücksichtsloser einfall und kreativität, ohne den schmerzgekrümmten versuch, in jedem moment erhaben sein zu wollen, so viel selbstbewusstsein in einer lyrik, die ebenso “von der straße“ wie aus der “bildung“ sich speist, das wäre vielleicht dem einen oder anderen feuilleton-bewanderten zuviel des guten.

mir konnte es kaum genug sein davon. auch wenn es im dritten großkapitel “ENTZUG” dann erst richtig zur sache geht, ganz so, wie es in jedem realen drogen-entzug wohl auch sein dürfte. Rackwitz greift hier poetisch durch und lässt auch seine wut und seinen lebens-skeptischen blick in die wortbilder hinein. nein, der dichter, er muss eben nicht immer erhaben und drüberstehend sein: “mein haus war unbewohnbar schön wie ein steinerner uterus / … / auf den friedhöfen tobte die werbeguerilla / in den behörden gab es panic rooms“ –

– genau so ist es, das leben, ein betonuterus, ein zugestandener panikraum der behörde, jedenfalls für die, die sich das (tja, da wären wir wieder) lächelnde leben des understatements eher nicht leisten können. die glücklosen, die ewig kämpfenden “zwischen (…) verlust und vergessenen uhren und urnen“, sie sind Thomas Rackwitz spürbar näher als die wissenden, erfolgreichen, mächtigen. dabei weiß er, wie leicht (V. Kapitel ZU LEICHT VERSPIELT) eben auch alles vergeblich, verspielt und vertan ist, im leben. einem leben aber, dass es allemal lohnt, besungen zu werden. jedenfalls in solch glaubwürdigen worten wie jenen dieses dichters.

Thomas Rackwitz

Thomas Rackwitz, IM TRAUM DER DICH NICHT SCHLAFEN LÄSST : Gedichte
ISBN 978-3943292602, 108 Seiten
chiliverlag Januar 2018

 

 

 

Die Leichtigkeit der Fülle: Jürgen Zimmermanns Gedichtband “SAISONLYRIK

Jürgen Zimmermann, SAISONLYRIK

warum sollte das Leben in uns und unseren worten leicht sein? … im “außen nach innen schauen / im eigenen rhythmus sein /“ … und warum die suche nicht eine, die uns findet? denn “du suchst eine liebesbeziehung / und findest nur freundschaften /“ … aber warum kommt der ruf uns nach, im “nachruf“ … “doch kein menschenwesen / kann den grund verstehen und“ … warum ist das frühstück ein stück wie “ein halb geschmiertes / und ein angebissenes quarkbrot /“ … eben auch ein poetisches geschehen, und warum ist es der sommer, in uns und unseren worten “verrückt“ … und wir sind es, in ihm und hören ihm zu: “wieder prasselt der sommer / regen seit tag für tag/ träume von wärme / perioden auf nasser  haut /“ … und ja, warum singt die natur auch in versen in uns und unseren ohren, und das nach wie vor und auch in diesem vom chiliverlag und seiner herausgeberin franziska röchter wunderschön gestalteten lyrikband?

weil wir es sind, die menschen, die in worten wahrnehmen können und zwischen ihrer leichtigkeit oder ihrer schwere wählen können und mit ihnen und in ihnen hören oder eben der natur lauschen könn(t)en. naturlyrik im jahr 2018, und das mehr als 150 jahre nach eichendorff und hölderlin? genau deswegen! ist man versucht zu antworten, weil es so lange her ist, dass die gradlinigkeit unseres wissens, unserer liebe und unseres bemühens um unsere natürlichen grundlagen eben auch wieder die lyrischen worte benötigt: “ein lied in den lüften / ein tuscheln im wind / ein flirrendes rauschen / es tanzen geschwind /“ …

die poetischen worte, die für jürgen zimmermann (www.paradiesbauer.de) keine aufwendigen neu-schöpfungen sein müssen, sondern gerade in ihrer schlichtheit zu sich selbst finden: mit schnellen, digital verdorbenen scanner-augen unserer bildschirm-zeit könnte eine(r) diese zeilen im ersten moment für zu unspektakulär, fast für naiv halten. aber sie oder er wäre nur das, was zimmermann gerade nicht will: die alles kennend verkennende großstadt-seele, die in der normalität des “blätterfalls“ des “taumelns des sommers“ nur noch die eigene sentimentalität romantischer anflüge wahrnehmen kann und nicht merkt, dass die klischeehafte wahrnehmung der eigenen natur-entfremdung den wirklich-wahren selbstverlust längst vereinnahmt und unterschlagen und unerfühlbar gemacht hat.

aber darum geht es hier nicht. dazu ist auch in diesen texten (wie in vielen anderen des gesellschaftspolitisch engagierten chiliverlages) die globalisierung und ihr ernüchterndes überangebot an desillusionierung aller orten zu greifbar. und das nicht nur in den klare position beziehenden politischen gedichten … “flugmaschinen donnern von pisten / werfen tiefe sandkrater auf/“ … sondern in allen lebenskapiteln, die zimmermann streift und in ihnen worte fast wie aus einem alten speicher gerettet und ungerahmt als bilder abgestellt hat – in seiner höchst eigenen mischung aus non-chalance und liebevoller achtsamkeit. und es ist ein liebevoller gedichtband, in seiner ehrlichkeit aus privaten mitteilungen, sparsam ermittelten versbildungen und öffentlichen bekenntnissen, die dennoch privat bleiben, selbst wenn sie den text einer wohnungsanzeige zitieren: “ap 3.91.1 / biete 36 qm dachgeschosswohnung / mit dusche und kochgelegenheit /“ … die grenze zwischen dem privaten und dem politischen, sie war immer eine künstliche und gerade auch deswegen in der kunst der verse und ihren lebensbildern abgebildet.

Jürgen Zimmermann

Jürgen Zimmermann, SAISONLYRIK
ISBN 978-3943292633, 172 Seiten
chiliverlag Januar 2018

 

 

 

(c) Michel Ackermann